Aus japanischem Seidenpapier, das Heidi Beilstein färbt, entstehen Scherenschnitte der besonderen Art.
Foto: Katrin Zempel-Bley
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Oldenburg/zb – Gackernde Hühner verkünden scharfzüngige Aphorismen und halten uns Menschen auf gnadenlose aber auch humorvolle Weise den Spiegel vor. Vom stolzen, fast barocken Hahn bis zum fast verblichenen Huhn werden Einsichten und Weisheiten auf 30 groß- und kleinformatigen Arbeiten der Oldenburger Künstlerin Heidi Beilstein verkündet.
Heidi Beilstein ist buchstäblich von Georg Christoph Lichtenberg infiziert. „Was er vor 200 Jahren aufgeschrieben hat, hat nichts an Aktualität eingebüßt“, sagt die 72-Jährige, die bis zum 14. Februar ihre Ausstellung „Lichtenbergs Hühner“ in der Landesbibliothek Oldenburg am Pferdemarkt präsentiert.
Tiere sind Heidi Beilsteins Metier. Speziell Hühner haben es ihr angetan. Sie mag sie einfach und verbiegt das Federvieh nicht. Sie kommen nicht als Comics daher sondern als schöne Hühner aus japanischem Seidenpapier. Allerdings geht es bei Heidi Beilstein selten ohne Texte. Ringelnatz und Morgenstern hat sie bereits intensiv studiert, aktuell ist es Georg Christoph Lichtenberg, der Mathematiker und Begründer des deutschsprachigen Aphorismus. Seine Aphorismen haben sie zu herrlich-grotesken Scherenschnitten angeregt. Ihre Hühner sind philosophische, gesellschaftliche oder gar politische Akteure.
Viele Jahre hat Lichtenberg in Schreibheften, von ihm „Sudelbücher“ genannt, seine Gedankensplitter aufgeschrieben. Kreuz und quer gehen sie durch alle Gebiete des Lebens. Es sind Ideen, Einfälle, Beobachtungen, Reflexionen, die treffend, mitunter messerscharf, ironisch, oft kritisch, kurz und knackig auf den Punkt gebracht, zum Nachdenken und schmunzeln sind und seine Offenheit für alles Neue belegen. Lichtenberg muss ein scharfer Beobachter seiner Umwelt gewesen sein.
Wer Lichtenberg liest, musst selbst seine Schlüsse daraus ziehen. Heidi Beilstein tut das mit ihren einzigartigen Hühnern. Scherenschnitt und die Begeisterung für die klare Linie sind ihre Sache. Sie färbt japanisches Seidenpapier, das auf den ersten Blick wie zarter Stoff wirkt, mit Tinte ein, knüllt es zusammen zu einem Knäuel und entfaltet das Papier wieder, das jetzt große und kleine Falten und herrliche Farbtöne bekommen hat. Mal sind sie verwässert, mal ganz stark und klar, dann changieren die Töne. Und wenn sie dann mit ihrer scharfen Schere daraus Hühner und Hähne entstehen lässt, sieht es so aus, als wäre ihr Federvieh lebendig und hätte echte buschige Federn.
So hängen rund 30 Hühner still, mal gackernd und mal flatternd in der Landesbibliothek, wo Lichtenberg auch in den Regalen anzutreffen ist, nebeneinander, alle versehen mit einem anderen Gedankensplitter von Lichtenberg die da z.B. heißen „Nichts kann mehr zu einer Seelenruhe beitragen, als wenn man gar keine Ahnung hat“, „Man kann den Hintern schminken wie man will, ein ordentliches Gesicht wird nie daraus“ oder „Mir tut es allemal weh, wenn ein Mann von Talent stirbt, denn die Welt hat dergleichen nötiger als der Himmel“ den Geist des Betrachters beflügeln und gleichzeitig seine Sinne berühren.
Heidi Beilstein verfügt über ein enormes Gefühl für das Material und beherrscht zugleich die handwerkliche Technik perfekt. Man muss die Hähne und die Hühner aus nächster Nähe betrachten, um zu ermessen, welche großartige Kunst sich dahinter verbirgt. Und man muss kein Freund von Hühnern sein, aber Heidi Beilsteins Exemplare sind einfach schön, ästhetisch, witzig, komisch, nachdenklich, ernst oder einfach skurril. Die Bilderreihe macht deutlich, sowohl mit Lichtenberg als auch mit den Hühnern hat Heidi Beilstein ihren großen Spaß.