Oldenburg (vs) Drei Uraufführungen der Ballettcompagnie Oldenburg sind derzeit im Kleinen Haus zu sehen, die reichlich theoretische Vorgedanken zu den unterschiedlichen Choreografien voran schicken. Mit künstlerisch-abstrakten und gesellschaftlichen Aspekten setzen sich Oldenburgs Ballettchef Antoine Jully in „Interaction“ und Guillaume Hulots in „Ravages“ auseinander. Die koreanische Choreografin So-Yeon Kim-von der Beck geht es in „Human“ eher menschlich an, wenn auch gesellschaftskritisch und wird in ihrer Arbeit wesentlich gefühlvoller und sinnlicher als ihre männlichen Kollegen. Ein Ballettabend mit viel Theorie, der aber das tänzerische Können der Ballettcompagnie Oldenburg nicht schmälert und mit viel Applaus gewürdigt wird.
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Antoine Jully setzt sich in seiner neuesten Arbeit mit Skulpturen des Arztes und Künstlers Albrecht Elsässer auseinander, der die Kugel als vollkommene geometrische Form betrachtet und darin ein Synonym für die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen sieht. Fünf Formen hat er dazu geschaffen, die als Edelstahlobjekte im Foyer ausgestellt sind und sich in der Choreografie als weiße Skulpturen im Bühnenraum bewegen. In der Choreografie sind sie aber lediglich Bühnenbild und werden nur im letzten Abschnitt direkt in den Tanz miteinbezogen. Ob man den im Programmheft weiter ausgeführten Gedankengängen des Künstlers und den daraus resultierenden Tanzformationen Jullys folgen kann, müssen die Ballettfreunde/innen für sich entscheiden. Interagiert im Duett und Ensemble wird auf jeden Fall von der mit fünf neuen Tänzerinnen/innen zusammengestellten Ballettcompagnie. Überraschend neue Bewegungsabläufe zeigt Antoine Jully in „Interaction“. Sehr temporeich und körperlich, zum Teil roh und bedrohlich, sind die Bewegungen der verschiedenen Sequenzen. Als Paar und in Gemeinschaft lässt der Ballettchef seine Compagnie agieren. Getanzt wird zu einer elektronischen Soundcollage von Gunnar Brandt-Sigurdsson als Auftragsarbeit, der mit seiner bearbeiteten und verfremdeten Stimme eine eher sperrige Musik geschaffen hat.
„Ravages“ ist wie „Human“ Teil einer neuen Reihe von Antoine Jully, die sich mit dem Thema Recycling am Theater beschäftigt und bereits vorhandene Bühnenbildelemente und Kostüme nutzen soll. Der französische Gastchoreograf Guillaume Hulot wählt fünf Tänzer/innen für seine dreiteilige Arbeit „Ravages („Verwüstung“), die er zu klassischer Musik entwickelt hat. Passend dazu der Tanzstil, der zwischen klassischen Elementen und Moderne wechselt. Begonnen wird in blauen Kostümen, die nach und nach abgestreift werden und somit den Menschen in seiner Fast-Nacktheit zeigen. Der Choreograf will im Rückwärtsgang die Entwicklung des Menschen in der Gesellschaft und der Natur von der Vorzeit bis heute zum Ausdruck bringen. Viel Kopf im Tanz.
„Human“ als perfekten Abschluss
Den Abschluss bildet „Human“ von So-Yeon Kim-von der Beck, die einen wesentlich gefühlvolleren Tanz auf der Bühne zeigt. Ihre Inspirationen setzt die Choreografin vom starken Solo über ein gefühlvolles Duett bis zum dynamischen Ensembletanz am deutlichsten um. Idee und auch die Musik stammen von dem gleichnamigen Film „Human“ aus der Dominikanischen Republik, der sich mit dem stetig wachsenden Berg von Plastikmüll auf unserem Planeten beschäftigt. Das Bühnenbild von Georgios Kolios mit seiner beweglichen Plastikfolie unter der Bühnendecke ähnelt dem Plastikmeer in den Ozeanen und ergänzt die Gedanken der Choreografin. Lediglich die weiten und steifen Plastikröcke in einem der fünf Tanzszenen scheinen eher fehl am Platz. Das Gesamtkonzept, auch in Verbindung mit dem Lichtdesign von Sofie Thyssen, ist hier am stimmigsten. Dafür erhält die Koreanerin mit ihrem Team auch den stärksten Applaus im fast ausverkauften Kleinen Haus.
Vorstellungstermine und Karten sind erhältlich unter www.staatstheater.de.