Oldenburg (zb) Als Ulrike Meiners zusammen mit ihrem Mann Ulrich die Wohnung ihres Vaters auflösen musste, hielt sie viele Bücher mit biologischem Inhalt in den Händen. Doch eines fiel ihnen sofort auf, der 1602 erschienene Band „De Animalibus Insectis Libri Septem“ von Ulyssis Aldrovandi. Er gilt als erstes umfassendes Werk über Insekten in der Weltliteratur.
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„Mein Großvater und mein Vater waren Biologen“, erzählt sie. Die Bibliothek des Großvaters ging auf den Vater über, der die wertvollen Bücher gut verwahrte. Auch Ulrike und Werner Meiners sind Biologen und somit erkannten sie den Stellenwert des in Latein geschriebenen Buches sofort. Sie überlegten, wo das 800 Seiten starke Werk mit faszinierenden Zeichnungen am besten aufgehoben wäre und kamen schnell zu der Erkenntnis, dass es in einem privaten Bücherschrank nicht adäquat gelagert werden kann. So kamen sie auf die Idee, es dem Landesmuseum für Natur und Mensch in Oldenburg als Dauerleihgabe zur Verfügung zu stellen.
„Für uns war sofort klar, dass wir es nicht zu Geld machen wollen“, erzählt Ulrike Meiners bei der Präsentation des auch ästhetisch sehr eindrucksvollen Buches. „Wir wollten, dass es in beste Hände kommt. Und es sollte für die Wissenschaft zugänglich sein.“ Also setzten sie sich mit Museumsdirektor Dr. Peter-René Becker in Verbindung und unterbreitete ihm die Idee. „Das war natürlich eine großartige Nachricht“, sagt er und fing gleich an zu recherchieren. „Neben dem vorliegenden Exemplar der Erstauflage sind insgesamt nur acht weitere in den Katalogen der deutschen Bibliotheken verzeichnet“, berichtet er und ist begeistert von dem extrem gut erhaltenen über 400 Jahre alten Buch, das bereits vorschriftsmäßig in einer großen Glasvitrine liegt.
„Wir freuen uns sehr, dass wir dieses Werk bei uns im Hause haben dürfen. Ulyssis hat als erster und schon lange vor Carl von Linné versucht, anhand von anatomischen Merkmalen die Insektenwelt zu systematisieren“, klärt der Fachmann auf. „Seine Beobachtungen hat er in einem Bestimmungsschlüssel festgehalten, der bis heute Gültigkeit hat. Daher ist das Buch nicht nur für mich als Biologen eine höchst spannende historische Quelle, sondern es ist quasi Wissenschaftsgeschichte pur“, schwärmt er.
In der Vitrine wird es zunächst bis zur langen Nacht der Museen am 20. September im Foyer des Hauses ausgestellt sein. Danach rechnet Peter-René Becker mit dem Interesse von Wissenschaftshistorikern, die sich ganz sicher für dieses außergewöhnliche Buch interessieren. „Sie können einen wissenschaftlichen Blick auf Insekten werfen und herausfinden, wie er sich verändert hat“, sagt er.
Denn um Insekten dreht sich alles in dem Buch. Der italienische Arzt und Naturforscher Ulyssis Aldrovandi (1522 bis 1605) verstand unter „Insekten“ nicht nur die nach heutigem Kenntnisstand kategorisierten Insekten, sondern auch andere Wirbellose wie Spinnen, Tausendfüßer, Schnecken, Ringelwürmer und Stachelhäuter. Zu letzteren gehören z.B. die Seesterne.
Bei der Klassifikation der Tiere richtete er sich nicht nach seinem großen Vorbild Aristoteles, sondern wählte eine dichotome, also nach Begriffspaaren unterschiedene Einteilung. Aldrovandi kategorisierte die Tiere anhand ihrer Anatomie und teilte sie nach folgenden Merkmalen ein: land- oder wasserlebend, Vorhandensein und Anzahl von Beinen, Vorhandensein und Art von Flügeln. In „De Animalibus Insectis Libri Septem“ lieferte er damit den ersten in der Literatur bekannten Bestimmungsschlüssel für Insekten. Es war das erste Mal überhaupt, dass das System der Insekten in einem Buch schematisch dargestellt wurde.
Insgesamt umfasst das enzyklopädische Werk Aldrovandis elf Bände. Er selbst verfasste zu Lebzeiten davon nur drei Bände zu den Vögeln und den vorliegenden Band über Insekten. Die weiteren sieben Bände veröffentlichten seine Schüler anhand seiner detaillierten Aufzeichnungen erst nach seinem Tod.
Wie das Buch in die Hände von Ulrike Meiners Großvater gelangte, darüber lässt sich nur spekulieren. „Mein Großvater hatte während seiner Promotion mit zwei Wissenschaftlern in Königsberg und Hamburg zu tun. Ich vermute, dass das Buch einem von ihnen gehört hat. Ich kann es aber nicht sicher sagen.“ Fest steht übrigens, dass es sich nicht um Raubkunst handelt. Das konnte zweifelsfrei festgestellt werden. „Alle Museen in Niedersachsen sind verpflichtet, Objekte, die in unsere Häuser kommen, daraufhin untersuchen zu lassen“, klärt Peter-René Becker auf. „Das gilt natürlich auch für Dauerleihgaben.“