Wie in Trance: Die BallettCompagnie Oldenburg in „Marimba“.
Foto: Stephan Walzl
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Oldenburg (vs) – „Tanz ist eine emotionsvolle Aufgabe, Tanz ist Freiheit“, so beendet der in Paris geborene Choreograf Antoine Jully sein Vorwort im Programmheft der BallettCompagnie Oldenburg. Am vergangenen Freitag bekommt der Satz eine tragische Bedeutung.
Bevor sich der Vorhang zur Premiere im Großen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters hebt, tritt der Ballettchef vor das Publikum. Sein Ensemble sei international, es seien Franzosen dabei, wie er selbst auch aus Frankreich stamme, sagte Antoine Jully bewegt. Eine Absage der Premiere käme für sie nicht in Frage. „Das Wichtigste ist, sich durch den Terror nicht vom Weg abbringen zu lassen“, so der Franzose. Hinter ihm leuchtet die durch Medien und Netzwerke bekannt gewordene Strichzeichnung „Peace for Paris“ des französischen Grafikers Jean Julien. Ein erster langer Applaus. Es sollte nicht der letzte sein.
„Dumbarton Oaks“ ist die erste Choreographie. Antoine Jully choreografierte diese Arbeit 2013 an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. Zum Kammerkonzert von Igor Strawinsky tanzt das junge Ensemble in grau-blauen hautengen Anzügen. Später kommen wallende Röcke hinzu. Auch die Männer vollziehen diesen Kostümwechsel. Klassik und Moderne verbindet Antoine Jully auch in dem er erst auf Spitze und später in Gymnastikschuhen tanzen lässt. Bewegungsabläufe des klassischen Tanzes wechseln sich mit modernen Tanzelementen. Es wird gesprungen, gehüpft, gerannt, mit den Armen gerudert. Voller Körpereinsatz ist gefordert. Eine Geschichte wird nicht erzählt. Die dynamische Musik wird entsprechend kurzweilig in Szene gesetzt. Drei graue Würfel und eine zuerst blau, dann farblich wechselnde und sich neigende Diagonale an der Rückwand dient als weiteres Symbol seines neoklassischen Stils.
Pure Körperbeherrschung in „Artikulation“
Vier Minuten Körperbeherrschung in Vollendung erlebt das Publikum im fast vollbesetzten Großen Haus in „Artikulation“. Antoine Jully hat für diese Uraufführung das gleichnamige Stück von Györgi Ligeti gewählt. Der aus Kuba stammende Tänzer Lester René González Álvarez artikuliert die Abfolge elektronischer Geräusche mit seinem gesamten Körper in höchster Perfektion. Mit größter Konzentration setzt der Tänzer jeden der scheinbar zufälligen Töne und Klänge um.
Körperdynamik in Perfektion: Lester René González Álvarez in „Artikulation“.
Foto: Stephan Walzl
In einen Sog gerät das Publikum bei „Marimba“ des 72-jährigen Amerikaners Lar Lubovitch. Die Choreografie von 1976 wurde in Oldenburg von Katarzyna Skarpetowska einstudiert. Die BallettCompagnie führt dieses, einer physischen Meditation gleichende Tanzstück erstmals nach der Uraufführung in Europa auf. Die wiederkehrende Melodiefolge in dem Stück von Steve Reich gibt den Rhythmus vor. Schlaginstrumente, Stimmen und Orgel versetzen das in Trainingskleidung tanzende Ensemble und das Publikum zugleich in einen tranceartigen Zustand. Die Gruppe dreht sich als Solo, Duo oder im Ensemble. Sie bilden einen Kreis, Einzelne lösen sich, gliedern sich wieder ein. Mal links, mal rechts herum bilden sie immer wieder ein pulsierendes, homogenes Gemenge.
„Tripped Itch“ als dynamisches Finale im Großen Haus
Prominent wird es im letzten Teil des Abends mit Ashley Page, Tänzer und Choreograf aus Rochester, Kent. 27 Jahre arbeitete der Engländer als Tänzer und Choreograf am Royal Ballet London und anschließend zehn Jahre als Künstlerischer Direktor beim Scottish Ballet. „Tripped Itch“ erzählt als Uraufführung keine Geschichte. Die mit vollstem Körpereinsatz ausgeführten Tanzbewegungen folgen den drei musikalischen Teilen von „Son of Symphony Orchestra“ des Komponisten Steve Reich. Die Energien, Stimmungen und Atmosphären der Musik übertragen sich auf die Tänzer. Blau ist der erste Teil, kühl und abstrakt wird sich bewegt. Dazu wird ein großformatiges, abstraktes Gemälde in Blau von der Decke gelassen. Es folgt ein querformatiges Bild in Gelb, das den Tänzern gleich fröhlicher und ausgelassener die dynamischen und akrobatischen Bewegungsabläufe vorgibt. Sie gleichen einer Party. Das große rote Bild schiebt sich als letzter Hintergrund vor den schwarzen Vorhang. Die Stimmung wird heiß. Großes Finale für alle.
Langer Applaus, Bravos und stehende Ovationen beenden einen Tanzabend der Extraklasse, der viel verspricht für die zweite Spielzeit der BallettCompagnie Oldenburg. Antoine Jully dankte den Zuschauern in seiner Ansprache zu Beginn für ihr Kommen, dass ihm und den französischen Compagnie-Mitgliedern helfe gleich zu tanzen. Der herzliche und stürmische Schlussapplaus hat diese Entscheidung unüberhörbar bekräftigt.
Die nächsten Vorstellungen sind am 22. November (18 Uhr) und 28. November (19.30 Uhr) sowie am 13. Dezember um 18 Uhr. Weitere Informationen und Karten unter www.staatstheater.de.