München (dts Nachrichtenagentur) – Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer und Hinterbliebenen des NSU-Terrors, Barbara John, hat Verständnis dafür, dass sich das Oberlandesgericht München für die Anfertigung der schriftlichen Urteilsbegründung Zeit genommen hat. „Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, wenn das Urteil beim Bundesgerichtshof erfolgreich angefochten würde und der Prozess noch einmal neu aufgerollt werden müsste“, sagte sie dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Donnerstagsausgaben). „Deshalb gehen Gründlichkeit und unendliche Sorgfalt vor Schnelligkeit.“
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Mehrere Verfahrensbeteiligte hätten ja bereits Revision angekündigt, fügte John hinzu. Der NSU-Opferanwalt Mehmet Daimagüler übte hingegen Kritik an der Tatsache, dass das Gericht die Frist fast bis zur letzten Minute ausnutzte. „Ich verstehe, dass das revisionssichere Verfassen des Urteils Zeit brauchte“, sagte er dem RND. „Die lange Zeit zwischen Urteilsverkündung und Urteilsbegründung hat jedoch eine sedierende Wirkung. Das Interesse der Öffentlichkeit am NSU-Komplex ist noch mehr zurückgegangen. Je länger das alles dauert, desto weniger Druck bleibt bestehen, an dem Thema dran zu bleiben.“ Dabei zeige sich heute umso mehr, „dass es ein Fehler war, so verbissen an dem Dogma festzuhalten, der NSU sei ein isoliertes Trio gewesen“, so Daimagüler weiter. „Tatsächlich werden Netzwerke bei späteren Taten sichtbar, etwa an dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.“ Das Oberlandesgericht hatte die mit Spannung erwartete Urteilsbegründung am Dienstag abgegeben. Nach dessen Zustellung haben die Prozessbeteiligten, die Revision eingelegt haben, einen Monat Zeit, um diese zu begründen. Anschließend muss der Bundesgerichtshof das Urteil überprüfen. Die Frist wäre am Mittwoch abgelaufen. Hätte das Gericht sie verstreichen lassen, hätte der gesamte Prozess von vorne beginnen müssen.
Foto: Eingang zum Strafjustizzentrum München während des NSU-Prozesses, über dts Nachrichtenagentur