Die Bürgervereine der Stadt Oldenburg hatten im Vorfeld vor dem Ratsantrag der CDU, Stadtbezirksräte für Oldenburg von der Verwaltung prüfen zu lassen, gewarnt. Doch das beeindruckte CDU, Grüne und Linke nicht im Geringsten. Sie stimmten dem Antrag in der jüngsten Ratssitzung zu, weil sie sich mehr direkten politischen Einfluss der Bürger wünschen. Außerdem versprechen sie sich von Bezirksräten, den Willen der Bürger besser ermitteln zu können, wie die CDU es formulierte.
Das Argument ist jedoch eine einzige Offenbarung und vielleicht auch die Selbsterkenntnis, nicht dicht genug am Bürger bzw. vor Ort zu sein. Zum Beispiel dann, wenn die Anwohner der Lindenallee oder des Hörnewegs sich gegen die Pläne der Stadtverwaltung zur Wehr setzen, weil ihre Straßenzüge modernisiert werden sollen und sie das aus der Zeitung erfahren.
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Oder umgekehrt die Bürger am Johann-Justus-Weg die Nase voll haben von den miserablen Straßenverhältnissen und kein Ratsmitglied davon etwas mitbekommt und die Bürger, wie gerade geschehen, 200 Unterschriften sammeln und der Stadtbaurätin überreichen. Diese Beispiele lassen sich fortsetzen, sind aber nicht zwingend ein Indiz dafür, dass wir Bezirksräte brauchen, sondern Ratsmitglieder und vielleicht auch Bürgervereine, die viel offenere Ohren für die Anliegen der Bürger haben.
Während CDU, Linke und Grüne in ihrem Beschluss keinen Angriff gegen die Bürgervereine erkennen können, sprechen SPD und FDP von einem direkten Angriff. Oberbürgermeister Jürgen Krogmann sieht gar die Geschäftsgrundlage der Bürgervereine entzogen, sollten Bezirksräte installiert werden. Noch ist es nicht soweit, aber die Reaktionen sind aufschlussreich.
Der Bürgerwille, mit dem lässt sich bekanntlich prima arbeiten, könnte stets und ständig abgefragt werden. Aber so richtig traut sich doch niemand an den Bürgerwillen heran. Denken wir mal an das Thema Tempo 30 in der Stadt oder die Bahnumfahrung. Statt endlose Debatten zu führen und zahlreiche teure Gutachter zu beschäftigen, hätte die Politik längst den Bürgerwillen feststellen können. Bloß möchte sie das wirklich? Und wieso soll das künftig ein Gremium schaffen, das unterhalb des Stadtrates agiert?
Offenbar erleben wir als Gesellschaft gegenwärtig ein ganz anderes Phänomen. Der Bürger lässt sich nicht mehr für dumm verkaufen, hat sein Obrigkeitsdenken abgelegt, mischt sich ein und wehrt sich, organisiert sich in Bürgerinitiativen und braucht weder Parteien noch Vereine. Er agiert punktuell, nämlich immer dann, wenn es ihn direkt tangiert. Das ist die Straße vor der Tür, die Schule des Kindes, der eigene Arbeitsplatz aber eben nicht der Arbeitsplatz eines anderen oder dessen Straße.
Außerdem fällt es Menschen immer schwerer, sich einer Partei anzuschließen, weil sie sich nicht mehr klar zuordnen lassen. Der klassische CDU-, SPD- oder Grünen-Wähler stirbt ebenso aus wie der typische Gewerkschafter. Auch Kirchen kämpfen schon seit Jahren mit zunehmender Bindungslosigkeit. Es besteht also wenig Hoffnung, dass Bezirksräte die Probleme in der Stadt lösen können. Sie schaffen nur eine neue Bürokratieebene und – da hat der Oberbürgermeister Recht – holen die Parteipolitik in die Stadtteile, was vollkommen kontraproduktiv wäre.
Vielmehr geht es um eine neue Kommunikation, die die Bürger stets einbezieht und sie vor allem ernst nimmt. Genau daran hapert es doch und zwar auf allen politischen Ebenen und quer durch alle Parteien. Und vermutlich müssen auch Bürgervereine über ihre Ausrichtung neu nachdenken. Sie könnten in der Stadt Schwergewichte sein, allerdings müssten sie die Worte des Oberbürgermeisters und anderer Kritiker ernst nehmen, indem sie sich verjüngen, attraktiver für Frauen und Migranten werden und die Belange der Bürger stärker wahrnehmen und sich dafür einsetzen.
Ein Kommentar von Katrin Zempel-Bley.