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Immer mehr Studierende psychisch krank

Wilfried Schumann, Leiter des Psychologischen Beratungsservices (PBS) des Studentenwerk und der Universität Oldenburg.

Wilfried Schumann.
Foto: Uni Oldenburg

Oldenburg (zb) Immer mehr junge Menschen leiden unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Panikattacken. Allein zwischen den Jahren 2005 bis 2016 soll der Anteil der 18- bis 25-Jährigen mit psychischen Diagnosen um 38 Prozent und darunter bei Depressionen um 76 Prozent gestiegen sein, geht aus dem Barmer Arztreport 2018 hervor. So soll jeder sechste Studierende, das wären 17 Prozent oder etwa 430.000 Personen, von einer psychischen Diagnose betroffen sein.

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„Unsere Zahlen sind ähnlich“, sagt Wilfried Schumann, Leiter des Psychologischen Beratungsservices (PBS) des Studentenwerk und der Universität Oldenburg. „Allerdings folgt daraus nicht der Umkehrschluss, dass studieren krank macht“, stellt er klar. Ein Teil der angehenden Akademiker leide unter Leistungs- oder Zeitdruck, Zukunftsängsten oder auch finanziellen Sorgen, berichtet er. „Da geht es vor allem um Vergleichsprozesse, also um die Frage, bin ich so gut wie die anderen und kann ich auf Dauer mithalten“, berichtet er. Die Betroffenen hätten sehr hohe Ideale und Erwartungen an sich selbst und das sei ihr größter Feind.

Dass berufliche Zukunftsängste oft eine erhebliche Rolle spielen, bezeichnet der Psychologe als irrational, denn nie zuvor seien Fachkräfte so stark nachgefragt wie gegenwärtig. In diesen Fällen hätten die Betroffenen offenbar eine andere Wahrnehmung, über die dann gesprochen werde, um die Ängste abzubauen.

Hinzu komme das veränderte Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, sagt Wilfried Schumann. „Die meisten Kinder wachsen in liberalen Elternhäusern auf, mussten sich also nie abgrenzen oder gar opponieren, so wie andere Jahrgänge vor ihnen. Zugleich wird viel in die Kinder und ihre Zukunft investiert, so dass sie sich wie Hoffnungsträger fühlen und mit der Rolle überfordert sind. Wenn sie ins Studium gehen, empfinden sie eine riesige Last, glauben, den Eltern etwas zurückgeben zu müssen, was sie nicht erfüllen können“, schildert Wilfried Schumann die Situation.

Manch ein Studierender, so beobachtet der Psychologe, schaffe den Übergang von der Schule in die Hochschule nicht reibungslos. „Sie waren gute Schüler und plötzlich fühlen sie sich wie Sitzenbleiber, weil sie den Stoff nicht verstehen und Unterstützungsangebote benötigen. Damit müssen sie erst einmal klarkommen“, gibt er zu bedenken. Eine weitere Hürde ist der Schritt vom Studienabschluss in den Beruf. „Es gibt Studierende, die fürchten sich vor der Arbeitswelt und beenden deshalb ihr Studium nicht“, weiß Wilfried Schumann.

Und immer wieder fällt ihm und seinem sechsköpfigen Team auf, wie schwer es Studierenden fällt, sich zu entscheiden. „Tatsächlich haben sie in jeder Beziehung viele Optionen, aber sie wissen oft nicht, welche die richtige für sie ist. Und wenn sie sich entscheiden, dann denken sie, es könnte die falsche Entscheidung sein“, erzählt er.

Dass viele Studierende seit der Umstellung aufs Bachelor- und Masterstudium längst in die Rolle der Punktesammler geschlüpft sind, findet Wilfried Schumann problematisch. „Sie haben ständig die Credit Points im Kopf, die sie in ihren vielen Prüfungen erreichen müssen. Da seien die Inhalte eher zweitrangig. Außerdem haben viele Studierende den Anspruch, sie müssten ihr Studium auf jeden Fall innerhalb der Regelstudienzeit beenden. Dieses Ziel ist aber nicht für alle Studierenden gleichermaßen realistisch. Jeder Mensch hat schließlich sein eigenes Tempo“, stellt der Psychologe klar. Doch im Bachelorstudium werde das leider nicht berücksichtigt.

Unter den Studierenden, die den PBS aufsuchen, sind zwei Drittel Frauen. „Das heißt aber nicht, dass Männer nicht betroffen sind. Sie tun sich bloß schwerer, über ihre Probleme offen und vor allem rechtzeitig zu sprechen“, bedauert Wilfried Schumann. Um möglichst viele Betroffene frühzeitig zu erreichen, hält der PBS zahlreiche niedrigschwellige Angebot vor, damit aus den Problemen keine psychischen Erkrankungen werden. „Die Welt wird nicht einfacher, weshalb unser Angebot vermutlich weiter sehr stark nachgefragt wird“, sagt der Psychologe abschließend.

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