
Der europaweit geltende Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft wird am Wall regelmäßig überschritten.
Foto: Anja Michaeli
Dass etwas gegen die Luftverschmutzung in Oldenburgs Innenstadt unternommen werden muss, ist allen Verantwortlichen klar. Der europaweit geltende Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft wird am Wall regelmäßig überschritten und gefährdet die Gesundheit der Menschen. Doch wie das Thema erörtert wird ist recht merkwürdig und zeigt, dass man das Grundproblem nicht wahrhaben will.
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Wir alle miteinander beuten die Erde aus in der Gewissheit, am Ende die Verlierer zu sein. Trotzdem stehen die Ja-Aber-Argumente im Mittelpunkt, die höchstens einer Schönheitsoperation gleichkommen, das Problem aber niemals grundsätzlich lösen.
Während die einen uns weismachen wollen, dass die Entfernung von Streuparkplätzen und die Einführung von Tempo 30 zur Lösung beitragen, wollen andere die grüne Welle einführen. Höhepunkt der Debatte ist aber die Idee aus der Mottenkiste, nämlich den Heiligengeistwall zur Einbahnstraße zu erklären oder gar ganz zu sperren. Manch einer wird sich an den sechsmonatigen Verkehrsversuch von 2002 erinnern, als die damalige Umweltdezernentin Karin Opphardt den Theaterwall zur Einbahnstraße erklärte. Allerdings nicht wegen der Luftverschmutzung, sondern wegen der Busse, die dauernd im Stau standen.
Der damalige Oberbürgermeister Dietmar Schütz brach den Versuch vorzeitig ab. Ofener Straße und Peterstraße sowie das gesamte Dobbenviertel erlebten völlig neue Verkehrsströme, die regelmäßig im Stau endeten. Dafür konnten die Busse aber problemlos ein paar hundert Meter auf dem Theaterwall fahren, um sich dann an der Ofener Straße in den Stau einzureihen.
Eine bestimmte Menge an Fahrzeugen, die täglich in Oldenburgs Innenstadt fährt, lässt sich nicht durch die Abschaffung von Streuparkplätzen, Tempo 30, grüner Welle, Einbahnstraßenregelungen oder gar Sperrungen am Wall reduzieren. Die Leute suchen sich blitzschnell andere Wege und der Schadstoffausstoß findet fortan andernorts statt. Das heißt, das Messgerät am Heiligengeistwall würde umziehen und Spitzenwerte an anderer Stelle messen. Das kann nicht ernsthaft die Absicht der Verantwortlichen sein.
Oberbürgermeister Jürgen Krogmann war seinerzeit Pressesprecher der Stadt Oldenburg und wird sich sehr gut an das teure Fiasko erinnern. Er sollte dringend die Ergebnisse von damals aus dem Keller holen lassen. Warum diese möglichen Szenarien (Sperrung beziehungsweise Einbahnstraßenregelung am Wall) von einem Gutachter untersucht werden sollen, ist nicht nachvollziehbar.
Eine Sperrung der Innenstadt für Dieselfahrzeuge ohne Euro-6-Norm fürchten hingegen das City Management Oldenburg (CMO) und die Oldenburgische Industrie- und Handelskammer (IHK). Das ist nachvollziehbar, wird aber vorerst nicht kommen, weil die gesetzlichen Bestimmungen dafür fehlen (Blaue Plakette). Gleichwohl sollten auch sie die Wahrheit langsam akzeptieren, dass wir alle über unsere Verhältnisse leben. Deshalb wäre es längst Aufgabe der Kammer, sich an die Spitze der E-Automobilitätsbewegung zu setzen und hier entsprechende Infrastrukturmaßnahmen zu fordern, so wie sie es bei großen Straßenbauprojekten seit Jahrzehnten vehement tut.
Das Schadstoffproblem in Oldenburg, Berlin, Stuttgart oder Osnabrück lässt sich nun mal nicht mit Schildern lösen. Auch wenn die Einsicht schwerfällt und wiederholt in verschiedenen Ausschüssen darüber debattiert wird, die vielen Autos verpesten die Luft und müssen – wenn wir alle so mobil bleiben wollen wie bisher – durch Elektroautos ersetzt werden, die problemlos 500 Kilometer fahren können und ein Tankstellennetz vorfinden, das dem jetzigen gleichkommt. Deshalb müssen die Städte dem Bund Feuer unterm Hintern machen. Das heißt, die Bundestagsabgeordneten vor Ort sind gefragt. Doch bislang ist von ihnen zu dieser Thematik nichts zu hören. Die Städte werden – wie bei anderen Themen auch – im Stich gelassen.
Es lässt sich nicht mehr verdrängen: Wir beuten die Erde über alle Maßen aus. Einer von vielen Mosaiksteinen ist die Schadstoffbelastung in Oldenburgs Innenstadt. Seit dem 8. August lebt die gesamte Menschheit in 2016 über ihre ökologischen Verhältnisse. Das war der Erdüberlastungstag. So bezeichnen Wissenschaftler den Tag, ab dem wir für den Rest des Jahres weltweit über unsere Verhältnisse leben, also Ressourcenpump im großen Stil betreiben. Der findet übrigens jedes Jahr früher statt, weil wir unersättlich sind. In den letzten drei Jahrzehnten verlagerte er sich vom Winter auf den Herbst und neuerdings auf den Sommer.
Egal, welche politischen Ziele jeder von uns anstrebt oder sich wünscht, ohne ein ökologisches Gleichgewicht lassen sie sich auf Dauer nicht verwirklichen. Wie wir gegenwärtig leben, geht auf Kosten nachfolgender Generationen, die erstaunlicherweise bis heute nicht reagieren, um massive Korrekturen von der Politik zu fordern. Wir alle wissen es, sehen es regelmäßig im Fernsehen oder erleben erste heftige Reaktionen der Natur auf unser Verhalten vor der Haustür. Trotzdem verdrängen wir diese Erkenntnis, hoffen mit Augen zu und durch weitermachen zu können, weil wir es eben alle bequem haben wollen. Tatsächlich ist dieses Verhalten asozial, weil wir nur Gast auf dieser Erde sind. Doch dieses Bewusstsein ist uns entweder abhandengekommen oder es hat nie existiert.
Ein Kommentar von Katrin Zempel-Bley.