Ein pädagogischer Leiter eines Kinderheims in Niedersachsen ist wegen sexuellen Missbrauchs an zwei Jungen zu sechs Jahren Haft verurteilt, ein Erzieher in Hessen erhält wegen sexuellen Missbrauchs an einem kleinen Mädchen in einer Kita eine fünfjährige Gefängnisstrafe, ein Augsburger Kinderarzt missbrauchte 21 Jungen und muss eine Haftstrafe von 13,5 Jahren verbüßen, ein ehemaliger englischer Fußball-Profi, der eine 15-Jährige sexuell missbraucht hat, geht für seine Tat sechs Jahre ins Gefängnis. Alles aktuelle Fälle, die wir zur Kenntnis genommen haben ebenso wie den massenhaften sexuellen Missbrauch, der sich vor Jahren und Jahrzehnten in der katholischen Kirche zugetragen hat und erst vor einiger Zeit öffentlich wurde.
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Als jetzt publik wurde, dass ein 17-jähriger Iraker einen neunjährigen Syrer in einer Oldenburger Flüchtlingsunterkunft schwer sexuell missbraucht haben soll, da erregten sich die Gemüter darüber, dass die Polizei den Fall nicht von sich aus sofort öffentlich gemacht hat. Die Polizei wurde der Verheimlichung bezichtigt, dabei gibt es laut Polizeipräsident Johann Kühme einen Erlass, der den Schutz Minderjähriger als bedeutsamer erachtet als das öffentliche Interesse. Von dem Kind, seinen Qualen, die es durchlitten hat und der daraus vermutlich lebenslang resultierenden Traumatisierung war mit keinem Wort die Rede.
Täglich werden in Deutschland Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht. Einige Tausend Fälle werden jedes Jahr angezeigt, die Dunkelziffer dürfte extrem hoch sein. Doch wen rührt das und weshalb wünscht ein Teil der Öffentlichkeit eine solche Meldung, die uns in der Sache überhaupt nicht weiterbringt, sondern nur das Opfer und sein Umfeld zusätzlich belasten? Wie gesagt: sexueller Missbrauch geschieht dauernd und überall, eben auch in Oldenburg, quer durch alle sozialen Schichten unabhängig von Konfession und Familienstand, über Ländergrenzen hinweg und eben auch unter Flüchtlingen.
Das ist nicht neu, aber jeder Fall ist tragisch und verdient etwas anderes als eine Schlagzeile, die höchstens dazu gut ist, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und vorhandene Vorurteile zu bestätigen, sich aber nicht ernsthaft mit der Problematik befasst, geschweige denn Lösungen entwickelt und sie zum Schutz unserer Kinder einsetzt.
Sexueller Missbrauch ist auch in Chaträumen des Internets zu beobachten. Hinzu gesellt sich die pornografische Ausbeutung von Kindern. Massenhaft wird Kinderpornografie im Internet angeboten und nachgefragt. Prominentester Fall im vergangenen Jahr war der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy. Das Problem ist also hinreichend bekannt und dennoch geschieht wenig.
Die Täter kommen ganz überwiegend aus dem näheren Umfeld der Opfer. Es sind die eigenen Eltern, Verwandte, Freunde, Nachbarn oder Personen, die durch ihren Beruf oder ihr Hobby mit den Opfern zu tun haben. Und manch ein anderer weiß von ihren Straftaten, schweigt aber aus Angst, Scham und Pein. Was geht in den Tätern vor, und warum suchen sie sich Kinder, die ihnen hoffnungslos unterlegen sind, für ihre Vergehen aus? Genau um diese Fragen geht es. Doch eine offen und sachlich geführte gesellschaftliche Debatte, eine fundierte Auseinandersetzung mit diesem Thema findet nicht statt.
Fachleute weisen zwar schon seit Jahrzehnten auf das schwere Problem hin, müssen jedoch um jede Stelle in entsprechenden Hilfeeinrichtungen betteln. Und bezogen auf den konkreten Fall haben Experten schon früh auf die Problematik in Flüchtlingsunterkünften hingewiesen und entsprechende Präventionskonzepte gefordert. Unsere Gesellschaft hält das Problem sexueller Missbrauch an Minderjährigen offenbar für nicht so wichtig, wohl aber die Nachricht darüber, dass sexueller Missbrauch geschieht.
Ein Kommentar von Katrin Zempel-Bley