Dirk Tenzer, Geschäftsführer des Klinikums Oldenburg, stellte sich nach der Pressekonferenz den Fragen der Journalisten.
Foto: Anja Michaeli
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Oldenburg (zb) – Ein vom Klinikum Oldenburg beauftragter externer medizinischer Gutachter hat Sterbefälle im Klinikum Oldenburg während der Beschäftigungszeit des vor dem Landgericht Oldenburg angeklagten Krankenpflegers Niels H. anhand der sehr gut und detailliert geführten Patientenakten untersucht und kommt bei der Vorstellung seines Gutachtens in Oldenburg zu dem Ergebnis, dass es zwölf Sterbefälle gegeben hat, bei denen alles darauf hindeutet, dass es ein Eingreifen von außen gegeben hat.
Von 1999 bis 2002 hat der Pfleger auf der herzchirurgischen Intensivstation und später in der Anästhesiepflege im Klinikum gearbeitet. In diesem Zeitraum kam es während der Anwesenheit von Niels H. auf der Intensivstation zu 56 Sterbefällen und eines weiteren Falls aus der folgenden Anästhesiezeit, bei dem sich ein unerwartetes Ereignis einstellte, die von dem Hildesheimer Gutachter Prof. Dr. Georg Knobelsdorff untersucht worden sind.
Dr. Dirk Tenzer, seit zwei Jahren Geschäftsführer im Klinikum Oldenburg, hat nach den Vorwürfen in Zusammenhang mit den unfassbaren Taten in Delmenhorst für eine lückenlose Aufklärung gesorgt und zeigte sich sichtlich gezeichnet und betroffen von dem Ergebnis. Während bei den Patienten in Delmenhorst das Medikament Gilurytmal für den Tod der Patienten verantwortlich sein soll, ist es in Oldenburg die Gabe von Kalium, ein gängiges Mittel, das nicht unter besonderem Verschluss steht. Hohe Serum-Kalium-Spiegel können laut Knobelsdorff schwere Rhythmusstörungen der Herzkammer mit meistens langsamen Herzschlag auslösen.
„Zum gegenwärtigen Zeitpunkt müssen wir davon ausgehen, dass Niels H. möglicherweise für zwölf Todesfälle in unserer Klinik verantwortlich ist“, erklärte Tenzer. Weil alle Patienten schwerstkrank waren, lag der tödliche Krankheitsverlauf nach Aussage des Gutachters auch ohne Fremdeinwirkung im Bereich des Möglichen. Somit stand die Frage im Raum, ob die Taten hätten verhindert werden können? „Dazu“, so der Geschäftsführer, „hätten undenkbare Verhaltensmuster erkannt und eben diese mit den Krankenakten verglichen werden müssen.“
Niels H. war süchtig nach Anerkennung
Dr. Beate Jungmann-Klaar, Leiterin der Klinikum-Apotheke, Gutachter Professor Dr. Georg Knobelsdorff, Dr. Dirk Tenzer, Geschäftsführer des Klinikums Oldenburg, sowie Moderator Marcus Röhe (von links) stellten heute die Ergebnisse des Gutachtens vor.
Foto: Anja Michaeli
Doch wer geht schon so weit und verdächtigt einen Kollegen? Fakt ist, dass Niels H. durch sein „Verhalten wie auf dem Fußballplatz auffiel, sich geradezu in die Notfallsituation drängte und regelrecht süchtig nach Anerkennung war“, wie Tenzer aufgrund von Befragungen der damaligen Mitarbeiter berichtete. „Dieses Verhalten muss als unangemessen in einem Team beschrieben werden. Fachlich gab es nichts an ihm auszusetzen“, sagte er weiter.
Bei den Kollegen fiel er somit zwar auf, doch die Vorgesetzten gingen davon aus, dass man, um weitere Schritte einleiten zu können, hieb- und stichfeste Beweise braucht, die aber nicht vorlagen. „Aus heutiger Sicht war das Verhalten damals falsch“, schlussfolgert Tenzer. Auf eigenen Wunsch verließ Niels H. schließlich das Klinikum und bekam eine Stelle in Delmenhorst. „Im Klinikum war man froh, dass er weg war“, erklärte Tenzer, für den jetzt die Verstorbenen im Vordergrund stehen.
Er könne die Taten leider nicht rückgängig machen, was er zutiefst bedauere, sagte er. Gleichwohl wird das Klinikum auf die Angehörigen der betroffenen Patienten zugehen, um hier unbürokratische Lösungen zu finden. „Zudem haben wir bereits Kontakt mit unserem Versicherer aufgenommen. Auch wenn es die Tat eines einzelnen Exzesstäters gewesen ist, die wir nicht verhindern konnten, können wir heute zumindest mit den Hinterbliebenen Lösungen zur Entschädigung suchen“, sagte er gestern.
Seit Jahren gibt es im Klinikum ein Beinahe-Unfall-Meldesystem sowie Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen. Außerdem ist eine systematische Überwachung von Sterberaten aller Bereiche eingeführt worden sowie weitere Systeme zur offenen Kommunikation. Dazu gehört auch das Whistle-Blowing-System, das ermöglichen soll, unabhängig von Hierarchien und Abhängigkeiten anonym Missstände aufdecken zu können, um derartigen, kaum zu glaubende Fälle, eher auf die Spur zu kommen. Ob die Sterbefälle auf der Anästhesie im besagten Zeitraum noch untersucht werden, wird gegenwärtig im Klinikum erörtert.