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Anerkennung von Leid und Unrecht

Anja Lütgens von der Stiftung Anerkennung und Hilfe in Oldenburg berät Betroffene.

Anja Lütgens von der Stiftung Anerkennung und Hilfe in Oldenburg berät Betroffene.
Foto: Katrin Zempel-Bley

Oldenburg (zb) In stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe beziehungsweise der Psychiatrie sowohl im Westen als auch im Osten der Republik erlebten Patienten auch nach der Naziherrschaft in Deutschland Leid und Unrecht. Ihre zum Teil grauenvollen Geschichten werden tabuisiert, sind kaum bekannt und offenbar von wenig öffentlichem Interesse. Seit Beginn dieses Jahres gibt es die „Stiftung Anerkennung und Hilfe“, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, eben diese Menschen zu unterstützen. Seit Juni unterhält die Stiftung auch in Oldenburg eine Anlauf- und Beratungsstelle, die vom Land Niedersachsen am Pferdemarkt 13 eingerichtet worden ist. Es ist die dritte neben Hannover und Braunschweig in Niedersachsen.

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Anfang des Jahres wurde die Stiftung von Bund, Ländern und Kirchen sowie deren Wohlfahrtsverbänden als Fortsetzung des auslaufenden Heimkinderfonds gegründet. „Hintergrund sind zahlreiche Menschen, die als Kinder oder Jugendliche in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe beziehungsweise der Psychiatrie untergebracht waren und noch heute an den Folgen wie zum Beispiel ungerechtfertigter Zwangsmaßnahmen, Gewalt, Strafen, Demütigungen oder unter finanziellen Einbußen leiden, weil sie sozialversicherungspflichtig in den Einrichtungen gearbeitet haben, ohne dass dafür in die Rentenkasse eingezahlt wurde“, berichtet Anja Lütgens, die in der Beratungsstelle in Oldenburg tätig ist.

Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung aufgefordert, in Abstimmung mit den Bundesländern ein Hilfesystem zu errichten für Menschen, die als Kinder und Jugendliche in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis zum 31. Dezember 1975 in der Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in der DDR in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe oder in stationären psychiatrischen Einrichtungen Leid und Unrecht erfahren haben.

„Ziel der Stiftung ist die öffentliche Anerkennung, die Anerkennung durch wissenschaftliche Aufarbeitung der Leids- und Unrechtserfahrungen sowie die individuelle Anerkennung und Unterstützung durch finanzielle Hilfe“, erläutert Anja Lütgens. Wer also betroffen ist, kann sich bei der 52-jährigen Sozialpädagogin melden. Was sich so einfach anhört, ist für die Betroffenen ein schwerer Weg.

„Die leidvollen Erfahrungen haben sie meist gut in sich verwahrt, sozusagen als Selbstschutz“, weiß Anja Lütgens aus den Gesprächen mit Betroffenen. Deshalb gestaltet sich der Beratungsprozess äußerst sensibel und es wird nichts unternommen, was die Betroffenen nicht ausdrücklich wollen. Gleichwohl sind sie erleichtert, wenn ihnen jemand zuhört, sie anerkennt und sie keine Angst haben zu brauchen.

Fast alle Betroffenen leiden ein Leben lang unter verschiedenen Beschwerden wie Traumatisierungen, Depressionen oder Schlafstörungen. „Ich erlebe es auch immer wieder, dass den Betroffenen der Schulbesuch oder eine Ausbildung verweigert wurde und sie deshalb nicht in der Lage waren, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, weshalb sie neben körperlichen und psychischen Leiden auch finanzielle Nachteile ertragen müssen“, berichtet Anja Lütgens.

Sobald ein Termin mit ihr vereinbart wird, findet ein persönliches Beratungsgespräch statt. „Die Betroffenen berichten mir dann von ihrem Erlebten und wir versuchen es gemeinsam aufzuarbeiten“, sagt die Sozialpädagogin. Sie hört sich die Geschichten nicht nur sehr genau an, sie muss sie auch auf Glaubwürdigkeit prüfen. Dazu gehört eine Menge Recherchearbeit. Da müssen durchaus auch Akten – falls noch vorhanden – angefordert und durchgearbeitet werden, um entsprechende Ansprüche geltend zu machen.

Weil weder in der Bundesrepublik Deutschland noch in der DDR die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen einheitlich geregelt war und es zudem viele Bezeichnungen für die verschiedenen Einrichtungen gab, muss Anja Lütgens außerdem klären, ob eine Einrichtung in die Zuständigkeit der Stiftung fällt.

Schließlich unterstützt die Beraterin die Betroffenen beim Ausfüllen des Dokumentations- und Erfassungsbogen. Sie sind die Voraussetzung dafür, um eine finanzielle Entschädigung zu erhalten, die bis zu 9000 Euro hoch sein kann. „Entschädigen kann die Stiftung die Betroffenen natürlich nicht. Dafür haben sie viel zu viel Leid und Unrecht erfahren. Wir können ihnen aber dabei helfen, ihr Leben etwas angenehmer zu gestalten oder sich einen Wunsch zu erfüllen. Tatsächlich geht es primär um die öffentliche Anerkennung dessen, was ihnen angetan worden ist“, stellt Anja Lütgens klar. „Vielen hilft das sehr, denn sie sind jahrelang nicht erhört und tabuisiert worden, weil das Thema vielen Menschen unangenehm ist.“

Die Stiftung Anerkennung und Hilfe ist unter der Telefonnummer 04 41 / 22 29 76 01 zu erreichen. Weitere Informationen gibt es unter www.stiftung-anerkennung-hilfe.de.

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