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Die Stadionfrage: Betrug und Selbstbetrug 2.0

Vor rund sieben Jahren hat der Oldenburger Rat eine Machbarkeitsstudie für ein neues Stadion an der Maastrichter Straße beschlossen.
Grafik eines Modells: Initiative Nordweststadion

Ein Kommentar von Michael Exner. Im politischen Streit hat es die Stadtgesellschaft gern klassisch. Da verfährt man nach dem alten lateinischen Motto: „Mundus vult decipi, ergo decipiatur“ – was der Herdbuch-Oldenburger aus Zentral-Eversten vielleicht übersetzen würde mit „Wenn die Leute schon hinter die Fichte geführt werden wollen, zeigen wir ihnen halt den Weg“. Die Behandlung kontroverser Themen vollzieht sich hier in einer Dauerschleife von Betrug und Selbstbetrug.

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Beispiele gefällig? Vor mehr als anderthalb Jahrzehnten tobte vor einer Kommunalwahl die Schlacht um das Einkaufszentrum der Hamburger ECE. Obwohl jeder bei tieferer Recherche hätte wissen können, dass nach einem früheren Ratsbeschluss und wegen zivilrechtlicher Verträge das Projekt zu dem Zeitpunkt nicht mehr rückholbar war, gelang einer unheiligen Allianz aus CDU, Grünen und Linken die Inszenierung einer Kampagne, die zur Bürgerbewegung gegen den „Koloss am Schloss“ wuchs. Die war gleichermaßen erfolgreich wie erfolglos. Erfolgreich, weil sie dazu beitrug, einen Oberbürgermeister aus dem Amt zu treiben; erfolglos, weil der neue Rat kurz nach der Wahl das (etwas abgespeckte) Projekt erneut beschloss und der Neu-OB und vormalige Koloss-Stopper brav die Baugenehmigung unterschrieb.

Der Fall zeigt, welche Kraft ausgelöst werden kann, wenn politischer Hinterhalt auf bürgerliches Engagement trifft und ein Phänomen auslöst, das die Politikwissenschaft „wishfull thinking“ nennt: Weil man ein bestimmtes Ergebnis unbedingt will (oder nicht will), glaubt man fest daran, dass das Gewünschte auch eintrifft. Die Fallhöhe ist entsprechend, die Enttäuschung vorprogrammiert. Wer nach Gründen für die wachsende Entfremdung zwischen Politik und Gesellschaft sucht, wird hier fündig werden.

Ein paar Jahre später gab es eine Neuauflage: beim Ausbau der Bahn-Stadtstrecke. Erneut schlossen sich einzelne Bürgerinitiativen mit einer Koalition aus CDU, Linken und (den später dazu gestoßenen) Grünen zusammen und schufen eine Chimäre: die Bahnumfahrung. Obwohl das Vorhaben von Anfang an aussichtlos war (u.a. weil man zehn Jahre zuvor versäumt hatte, entsprechende Pflöcke einzuschlagen), prägte das Thema (wieder mit Blick auf Wahlen) einige Jahre die Debatte, bei der die Bahngegner in der Hitze des Gefechtes mit der These überraschten, eine Umgehung könne in nur fünf Jahren gebaut werden – in einem Land, in dem man innerhalb von fünf Jahren nicht mal eine Fahrradstraße von Oldenburg nach Edewecht hinbekäme. Planfeststellungsbeschluss und Bundesverwaltungsgericht fegten die Sache denn auch vom Tisch, der politische Schaden aber blieb. Apropos Bahn: Wer hat eigentlich den Mut, den Leuten in Ofenerdiek zu sagen, dass sie nach Lage der Dinge ihre Unterführung erst mal abschreiben können?

Mit dem Stadion-Streit beginnt ein neues Kapitel in dem alten Drehbuch. Da treffen blühende Landschaften auf wahre Horrorszenarien. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Ein Schuss Ehrlichkeit könnte auf beiden Seiten hilfreich sein und die Debatte versachlichen.

Die Anhänger eines Neubaus sollten aufhören, aller Welt Honig ums Maul zu schmieren mit Schönmalereien, was man in einem Stadion sonst noch alles machen kann außer Fußballspielen. Die Stadt braucht keinen weiteren Standort für Konzerte (die Stones oder Dylan kämen ohnehin nicht) und Freilichttheater. Was an den Weser-Ems-Hallen entstehen soll, ist ein Stadion rein für professionellen Fußball – und der Nutznießer ist ausschließlich der VfB Oldenburg. Natürlich könnten (wenn sie denn wollten) auch die VfL-Fußballer dort spielen oder die Knights. Aber deren Auftritte und ihr Beitrag zur Kostendeckung dürften sich in Grenzen halten. Vor diesem Hintergrund kann man ein neues Stadion wollen oder auch nicht. Aber man muss das den Menschen vorher sagen.

Die Neubaugegner wiederum sollten aufhören, sich das Marschwegstadion schön zu saufen. Profi-Fußball funktioniert dort nicht. Unabhängig von allen DFB-Auflagen (die künftig eher verschärft als gelockert werden) und Lärmschutzbestimmungen erledigt das allein die Verkehrssituation. Und das Argument, man müsse jetzt ja sowieso Millionen in die Instandsetzung investieren, da könne man das Stadion auch gleich für ein paar Millionen mehr aufrüsten, geht leider fehl. Erstens würde das nichts an der Verkehrslage ändern, zweitens sind die aktuell anstehenden Ausgaben nur der Preis dafür, dass man die Stadionfrage über Jahrzehnte hat schleifen lassen. Das widerlegt übrigens nebenbei die Behauptung, hier werde Zeitdruck aufgebaut. Auch das ist ein in dieser Stadt nicht unbekanntes Phänomen: Gibt man den Oldenburgern fünf Jahre Zeit für eine Entscheidung, passiert viereinhalb Jahre nichts, und ein halbes Jahr klagen alle darüber, dass so wenig Zeit bleibt.

Dass die Gegner finanzielle Risiken von 80 bis 100 Millionen Euro heraufbeschwören, mag aus ihrer Sicht verständlich sein, bildet aber gewissermaßen nur die negative Variante des wishfull thinking ab. Die Frage ist nicht, ob die Stadt sich die reinen Baukosten von 34 Millionen leisten kann (ein paar mehr werden es am Ende schon werden, das ist bei öffentlichen Aufträgen nun mal so). Das kann sie, und es wird deswegen kein Kindergartenplatz weniger gebaut. Die Frage ist, ob sie sich den jährlichen Zuschuss zu den Unterhaltskosten leisten will. Der dürfte je nach Stadiongröße und Vermarktungserfolg zwischen anderthalb und zweieinhalb Millionen Euro liegen. Darüber kann man nachdenken. Zur Einordnung: Die Stadt trägt vertraglich 25 Prozent des Defizits beim Staatstheater, das sind in diesem Jahr 6,8 Millionen Euro.

Den von Futterneid getragenen Vorstoß der EWE Baskets in vermeintlich letzter Minute gegen die Lage des Stadions muss man dagegen nicht weiter ernst nehmen. Zum einen ist der Standort seit Jahren bekannt (ohne dass man aus dieser Richtung etwas gehört hätte), zum anderen hat die Stadt für keinen Verein mehr getan als für diesen: erst eine kleine Halle gebaut, dann eine große. Der Brief ist schlichtweg peinlich. Wären die Baskets eine politische Partei, wäre jetzt ein Rücktritt fällig.

Die Politik wird in diesem Monat die Frage beantworten müssen, ob ihr die Spitzenleistungen auf Bundesliganiveau in Handball und Basketball fürs Image auch im Wettbewerb mit anderen Städten reichen, oder ob Oldenburg auch im professionellen Fußball eine Rolle spielen soll. Genau darum geht es, das muss man diskutieren und entscheiden.

Möglichst ohne Betrug und Selbstbetrug.

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