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AWO: Privatisierungsrausch muss ein Ende haben

Der AWO Bezirksverband Weser-Ems feierte sein 65-jähriges Bestehen. Unter den vielen Gästen wurde Sozialministerin Cornelia Rundt begrüßt.

AWO- Bezirksvorsitzender Dr. Harald Groth (rechts) sowie AWO-Geschäftsführerin Hanna Naber begrüßten Gastreferent Prof. Dr. Ernst Mönnich aus Bremen, der über Daseinsvorsorge sprach.
Foto: Katrin Zempel-Bley

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Oldenburg/zb – Der AWO Bezirksverband Weser-Ems feierte im Oldenburger Kulturzentrum PFL sein 65-jähriges Bestehen. Bezirksvorsitzender Dr. Harald Groth konnte zahlreiche Gäste aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft begrüßen, unter ihnen auch die Niedersächsische Sozialministerin Cornelia Rundt.

Tatsächlich ist der Verband 1919 gegründet worden. Er wurde jedoch während der Nazizeit zwischen 1933 und 1945 verboten und enteignet. „Somit feiern wir die Wiedergründung unseres Verbandes“, erklärte Groth. So gehörte Elisabeth Frerichs sowohl 1919 als auch 1948 zu den führenden Gründungsmitgliedern. Sie wäre am 13. Oktober 130 Jahre alt geworden und erhielt als erste Frau aus Oldenburg 1952 das Bundesverdienstkreuz am Bande. Während des Nazi-Terrors wurde sie ihrer Heimatstadt Wilhelmshaven verwiesen, ihr Ehemann wurde verhaftet und tauchte niemals wieder auf. Trotzdem hatte sie die Kraft, die Arbeit 1948 fortzuführen.

Ausgelöst durch die rechtlichen Veränderungen für Hilfebedürftige Anfang der 60er Jahre erfuhr die AWO Weser-Ems einen enormen Wachstumsschub, der bis Ende der 80er Jahre anhielt. Einerseits durch hausgemachte Probleme, andererseits durch sich verändernde Rahmenbedingungen verursacht, geriet das Schiff AWO Weser-Ems ins Schlingern. Eine Bereinigung des Portfolios und die Hinwendung zum Kerngeschäft sowie moderne Strukturen wirkten dem entgegen.

2003 läutete die AWO Weser-Ems ihre größte Reform ein, indem das operative Geschäft vom strategischen getrennt wurde. Die drei Vorsitzenden Dr. Harald Groth, Dr. Lothar Knippert (stellv.) und Hermann Bontjer (stellv.) wurden vom höchsten Gremium des Bezirksverbandes – der Bezirkskonferenz – beauftragt, den AWO Bezirksverband hin zu einem modernen Wohlfahrtsverband und einem sozialen Dienstleistungsunternehmen zu entwickeln.

Heute umfasst die AWO Weser-Ems über 60 Einrichtungen aus den Bereichen Kinder, Jugend und Familie, Menschen mit seelischen Behinderungen und für Senioren. Rund 3500 Mitarbeiter tragen zum Erfolg der angebotenen sozialen Dienstleistungen bei. „Als AWO Weser-Ems können wir mit Fug und Recht sagen: Wir haben eine bewegte, aber sehr erfolgreiche Geschichte seit Wiedergründung vor 65 Jahren erlebt und bewältigt“, fasste Groth zusammen.

Sozialpolitisch entwickelte sich der AWO Bezirksverband, insbesondere in den letzten zehn Jahren, zu einer starken Lobby für jene Menschen, denen wenig Gehör geschenkt wird – Arme, Kranke, zu Pflegende. Konzeptionell versucht der AWO Bezirksverband mit innovativen Ideen in Politik und Wirtschaft zu agieren. Zum 65. Jahr der Wiedergründung wurde das Diskussionspapier „Sozialstaat als Teil der Marktgesellschaft? oder: Ein Appell zur Neuentdeckung einer Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand“ vorgestellt.

Darin wird kritisiert, dass der Markt gesellschaftliche Priorität genießt und den einzelnen Menschen zu einem wirtschaftlichen Kostenfaktor degradiert. Groth kritisierte zudem den „Privatisierungsrausch“. Es sei an der Zeit, sich dem Trend der allgegenwärtigen Privatisierung entgegen zu stellen, meinte er. „Nur mit einem Bundesgesetz zur Daseinsvorsorge und davon ausgehenden Regelungen auf Landesebene und in den Kommunen kann die Wiederherstellung der öffentlich verantworteten Daseinsvorsorge organisiert werden.“ Dadurch ließen sich viele negative Auswüchse der jüngsten Liberalisierungen und Privatisierungen zurückdrehen, so Groth.

Auch die fortschreitende Privatisierung der persönlichen Lebensrisiken wie zum Beispiel dem Alter, der Gesundheit, möglicher Arbeitslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit beleuchtete Groth kritisch. „Die vermehrte Übernahme individueller Selbstverantwortung wurden in vielen Feldern als Allheilmittel gepriesen, die dann auch politisch umgesetzt wurden, zu Lasten der Schwächeren, die aufgrund ihrer finanziellen Situation gar nicht in der Lage sind, Daseinsvorsorge zu betreiben“, machte er deutlich.

Er kritisierte die enormen Einschnitte bei der Rente, die viele in die Altersmut treiben würden, ebenso wie die Billiglöhne. Es dürfe nicht länger unter Tarif bezahlt werden, sagte er und mahnte insbesondere Verbesserung für den gesamten Pflegebereich an. Kranken- und Altenpfleger würden dringend gebraucht, leisteten wertvolle Arbeit und würden kaum gesellschaftliche Anerkennung ernten ganz abgesehen von ihrem Verdienst. Somit würde der Beruf immer unattraktiver, gleichwohl steige angesichts des demografischen Wandels die Nachfrage nach Pflegepersonal. Das passe nicht zusammen.

Auch künftig werde die AWO sich politisch einmischen und ihre Ziele konsequent verfolgen, kündigte Groth an. „Wir sind gut aufgestellt, setzen uns nicht zur Ruhe, sondern sind weiter aktiv an der Gestaltung der Sozialstaatlichkeit beteiligt“, erklärte er abschließend.

AWO Bezirksverband Weser-Ems

Der AWO Bezirksverband Weser-Ems mit seinen rund 14.000 Mitgliedern, 13 Kreisverbänden und 160 Ortsvereinen wird ehrenamtlich durch den Vorsitzenden Dr. Harald Groth und seine beiden Stellvertreter Dr. Lothar Knippert und Hermann Bontjer geführt. Verbandsgeschäftsführer ist Thomas Elsner, der zusammen mit Geschäftsführerin Hanna Naber das strategische und operative Geschäft der AWO Weser-Ems leitet.

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