Ausstellung

Bauhaus: Zwischen Utopie und Anpassung

„Zwischen Utopie und Anpassung – Das Bauhaus in Oldenburg“  spannt den Bogen von der Weimarer Republik über die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg.

„Zwischen Utopie und Anpassung – Das Bauhaus in Oldenburg“ spannt den Bogen von der Weimarer Republik über die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg.
Foto: Sven Adelaide / Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg

Oldenburg (am/pm) Das von Walter Gropius im April 1919 gegründete Staatliche Bauhaus Weimar war die einflussreichste Hochschule für Gestaltung im 20. Jahrhundert und ein wirkungsvolles Experimentierfeld. Sie prägte maßgeblich Architektur, Design und Kunst der Moderne. Zwischen 1923 und 1927 brachen vier junge Männer aus Oldenburg und Ostfriesland nach Weimar bzw. Dessau auf, wo sie die Bauhaus-Ideen kennenlernten. Vom 27. April bis zum 4. August widmet sich das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg mit der Ausstellung „Zwischen Utopie und Anpassung – Das Bauhaus in Oldenburg“ dem Leben und Wirken der Bauhäusler Hans Martin Fricke, Hermann Gautel, Karl Schwoon und Hin Bredendieck.

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Anhand ihrer bewegten Lebensgeschichten rekonstruiert die Schau exemplarisch die Entwicklungen des Bauhaus-Impulses von seinen Anfängen bis in die heutige Zeit und wirft Schlaglichter auf das Zeitgeschehen und die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Sie spannt den Bogen von der Weimarer Republik über die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg bis zum kulturellen Wiederaufbau der Nachkriegszeit.

Museumsdirektor und Kurator Prof. Dr. Rainer Stamm erläutert: „Zwischen Utopie und Anpassung erzählt die ganze Geschichte des Bauhauses: vom expressionistischen Aufbruch der Gründungszeit über die ‚heroische Zeit‘ der Gestaltungsschule in Weimar und Dessau bis hin zur Emigration des von den Nationalsozialisten vertriebenen Bauhauses. Diese Stationen werden in der Ausstellung nicht nur durch bekannte Werke der Meister dokumentiert, sondern auch durch Arbeiten von Bauhäuslern aus Oldenburg und Nordwestdeutschland.“

Die Schau umfasst rund 250 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafiken sowie Fotografien und Designobjekte aus den Beständen des Landesmuseums Oldenburg sowie aus bedeutenden privaten und öffentlichen Sammlungen des In- und Auslands.

„Erstmals werden in einer Ausstellung die Lebenswege der Bauhäusler aus Oldenburg und Ostfriesland vorgestellt, die wir in einem Forschungsprojekt am Landesmuseum in den vergangenen zwei Jahren untersucht haben. Wir fragen vor allem danach, wie es nach dem Bauhaus für sie weiterging – daher der Titel ‚Zwischen Utopie und Anpassung‘“, so Gloria Köpnick, Kuratorin der Ausstellung.

Die Ausstellung zeigt Werke von Josef Albers, Herbert Bayer, Irene Bayer, Marianne Brandt, Hin Bredendieck, Marcel Breuer, Erich Consemüller, Lyonel Feininger, Hans Finsler, Hans Martin Fricke, Hermann Gautel, Sigfried Giedion, Werner Gilles, Paul Häberer, Josef Hartwig, Dörte Helm, Johannes Karl Herrmann, Ludwig Hischfeld- Mack, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Kurt Kranz, Erich Krause, Otto Lindig, Gerhard Marcks, Ludwig Mies van der Rohe, Lucia Moholy, László Moholy-Nagy, Farkas Molnár, Georg Muche, Max Peiffer Watenphul, Lilly Reich, Karl Peter Röhl, Oskar Schlemmer, Kurt Schmidt, Karl Schwoon, Hans Troschel, Wilhelm Wagenfeld, Margarete Willers und Werner Zimmermann.

Die 20er Jahre

Ausgangspunkt der Schau ist die Gründung des Staatlichen Bauhauses durch Walter Gropius und das Bauhaus-Manifest von 1919. In Oldenburg fanden schon früh Ausstellungen, organisiert von der Vereinigung für junge Kunst, statt, in denen am Bauhaus entstandene Werke präsentiert wurden. Dem Wirken der Oldenburger Vereinigung ist ein eigener Ausstellungsraum gewidmet, in dem herausragende Arbeiten der Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer und Josef Albers präsentiert werden, die zum Teil schon 1930 im Oldenburger Augusteum gezeigt wurden.

Als eines der ersten Museen in Deutschland sammelte und präsentierte das Landesmuseum Oldenburg bereits in den 20er Jahren Bauhausmöbel und -produkte. Gründungsdirektor Walter Müller-Wulckow, leidenschaftlicher Unterstützer der Bauhaus-Ideen, ermutigte junge Künstler aus der Region – wie Karl Schwoon und Hermann Gautel – dazu, an der neuen Kunsthochschule zu studieren.

Während Hans Martin Fricke mit nur 16 Jahren zunächst in Weimar die Tischlerei-Werkstatt besuchte und die Gesellenprüfung ablegte, schrieb er sich Mitte der 20er Jahre zum Architekturstudium in Oldenburg ein. Herrmann Gautel und Hin Bredendieck arbeiteten in Dessau gemeinsam in der Metallwerkstatt, wo sie unter anderem mit Marianne Brandt Lampen für die Leipziger Leuchtenfirma Körting & Mathiesen entwarfen. Karl Schwoon wurde in Dessau von Paul Klee, Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer beeinflusst.

Nun zeigt die Ausstellung „Zwischen Utopie und Anpassung“ erstmals ihre Arbeiten und präsentiert sie in einer umfassenden Schau gemeinsam mit epochemachenden Werken von Wassily Kandinsky, Paul Klee, László Moholy-Nagy, Marianne Brandt, Oskar Schlemmer, Josef Albers, Lyonel Feininger, Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer. Neben Arbeiten aus den Nachlässen der Künstler, die erstmals gezeigt werden, können die Besucherinnen und Besucher auch Meisterwerke der Moderne entdecken, wie etwa das Bauhaus- Schachspiel von Josef Hartwig oder die berühmte Bauhaus-Lampe von Wilhelm Wagenfeld.

Die 30er Jahre und der Zweite Weltkrieg

Zwei Jahre lang hat das Kuratoren-Team des Landesmuseums geforscht, um die sehr unterschiedlichen Wege der vier nordwestdeutschen Protagonisten auch nach ihrer Zeit am Bauhaus zu rekonstruieren. Fotografien, Skizzen und Entwürfe, Designobjekte, Druckgrafiken und Gemälde aus den Jahren nach dem Besuch des Bauhauses dokumentieren, welch unterschiedliche Wege sie einschlugen und wie die Lehrjahre sie beeinflussten: Seit 1927 arbeitete Hans Martin Fricke als Architekt in Bremen und Oldenburg. Während der NS-Zeit fungierte er als überzeugter Kulturfunktionär in Oldenburg und übernahm 1941 die kommissarische Leitung des Oldenburger Kunstvereins.

1933 kehrte auch Gautel nach Oldenburg zurück, wo er ein innovatives Einrichtungsgeschäft eröffnete. Die Ideen des vom Bauhaus inspirierten, modernen Innenraumdesigns gab er so in die Region weiter. Die in der Ausstellung gezeigten Fotografien seiner Interieurs verdeutlichen, dass er sich an der klaren Formen- und Materialsprache des Bauhauses orientierte. Zugeständnisse an provinzielle Gemütlichkeit waren jedoch nötig, um die Kundschaft zu überzeugen. Seine Freundschaft zu Hin Bredendieck bestand auch nach ihrer gemeinsamen Zeit in der Metallwerkstatt. So entstanden in den 30er Jahren gemeinsame Arbeiten und Entwürfe. Ein jähes Ende fand das gestalterische Schaffen Gautels mit seiner Einberufung in den Kriegsdienst. Seit 1945 gilt er als vermisst.

Der Zweite Weltkrieg bedeutete auch für Karl Schwoon eine Zäsur: Der Künstler war von 1943 bis 1945 Bildberichterstatter in Frankreich und an der Ostfront. Seine Fotografien sind Teil der Ausstellung und vermitteln ein Bild des Krieges. Schwoon überlebte den Krieg in britischer Gefangenschaft, doch wurde fast sein gesamtes Frühwerk bei einem Bombenangriff 1943 zerstört.

Hin Bredendieck arbeitete nach dem Abschluss am Bauhaus Dessau zunächst in den Werbeateliers von Moholy-Nagy und Bayer in Berlin. 1932 nahm er eine Arbeit in der Schweiz an und entwickelte zusammen mit Sigfried Giedion wegweisende Entwürfe neuer Leuchten, die durch indirektes Licht überzeugten. Als die Schweiz auf Sanktionen der Nazis reagierte, wurde Bredendiecks Arbeitserlaubnis nicht mehr verlängert. Einen neuen Job fand er bei seinem Bauhaus-Kommilitonen Gautel in Oldenburg. 1937 emigrierte Bredendieck jedoch aufgrund der sich verschärfenden politischen Situation in die USA. Am New Bauhaus Chicago erhielt er einen Lehrauftrag und schon im darauffolgenden Semester übernahm Bredendieck die Leitung des „Basic Workshop“, der sich an den Vorkurs des Dessauer Bauhauses anlehnte. Auch die Holz- und Metallwerkstatt unterstand nun seiner Leitung. Maßgeblich wurde Bredendieck Ende der 30er Jahre zum Katalysator für die weltweite Verbreitung des Bauhaus-Gedankens.

Die Zeit nach 1945

Den Abschluss der Ausstellung bildet der kulturelle Wiederaufbau nach 1945. Fricke, der während der Zeit des „Dritten Reichs“ als NS-Kulturpolitiker und Architekt tätig war, wurde in der Nachkriegszeit zu einer bedeutenden Kraft der Architektur der 50er Jahre in Oldenburg – ein Lebenslauf, in dem sich die deutsche Geschichte mit all ihren Verwerfungen widerspiegelt. Seine NS-Vergangenheit wurde nicht aufgearbeitet und er realisierte zahlreiche Wohnhäuser und Geschäftsbauten, wie das Bürohaus des Bauunternehmers Ludwig Freytag in Oldenburg. Dieser klar gegliederte Bau mit großen Fenstern ist der Höhepunkt des architektonischen Werks Frickes.

Karl Schwoon eröffnete 1947 die erste Oldenburger Avantgardegalerie der Nachkriegszeit. Die Gestaltung des Eingangsschildes seiner Galerie und der in Kleinbuchstaben gehaltene Schriftzug verraten sofort Schwoons Ausbildung am berühmten Bauhaus. Eine Klammer setzt die Ausstellung mit Objekten aus der eigenen Sammlung, die Direktor Walter Müller-Wulckow in den Nachkriegsjahren in Schwoons Galerie für das Landesmuseum erwarb. Daneben kommt auch eines der bedeutendsten künstlerischen Spätwerke Schwoons – In Memoriam Bauhaus Dessau I – zur Ansicht.

Hin Bredendieck entwickelte Ende der 1940er Jahre zusammen mit Nathan Lerner, seinem ehemaligen Schüler am New Bauhaus Chicago, Möbel, die als fertige Bausätze verkauft wurden. Ein Erfolgskonzept, das von Ingvar Kamprad, Gründer des Möbelhauses IKEA, etwa zur gleichen Zeit auch in Schweden konzipiert wurde. 1952 wechselte Hin Bredendieck an das Georgia Institute of Technology in Atlanta und avancierte zu einem weltweit vernetzten Professor für Industriedesign. Seinen Unterricht gestaltete er vollkommen neu und setzte Schwerpunkte auf die benutzerorientierte Entwicklung von Design. Hin Bredendieck zählt somit zu den einflussreichsten und am nachhaltigsten wirkenden Vertretern der Bauhaus-Ideen in Amerika.

Bauhaus100

Die Ausstellung ist zentraler Beitrag des Landes Niedersachsen zum 100-jährigen Jubiläum der Gründung des Bauhauses. Björn Thümler, Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur, begrüßt die Oldenburger Ausstellung und das Bauhaus-Jubiläum in Niedersachsen: „Auch in Niedersachen ist das Erbe des Bauhauses allgegenwärtig. Im Jubiläumsjahr 2019 sind zahlreiche Kultureinrichtungen mit tollen Ausstellungen und Veranstaltungen mit dabei. Damit machen sie auch Werbung für Niedersachsen als kulturelles Reiseziel. Denn Bauhausarchitektur und Bauhausideen sind quer durch unser Bundesland zu erleben – von Alfeld über Celle bis Osnabrück, von Oldenburg über Hannover bis Goslar.“ Ab Ende April 2019 trägt ein umfangreiches Begleitprogramm aus Talks, Interventionen im Stadtraum, einem Filmprogramm, Führungen und Workshops das Bauhaus auch in die Oldenburger Gesellschaft.

Katalog

Begleitend zur Ausstellung erscheint im Imhof-Verlag eine 191 Seiten umfassende Publikation mit zahlreichen Erstveröffentlichungen von Skizzen, Entwürfen und Fotografien, die für 26 Euro an der Museumskasse erhältlich ist.

Begleitausstellung: Bauten und Bilder. Studierende interpretieren das Bauhaus

Studierende des Instituts für Kunst und visuelle Kultur haben sich in Anlehnung an die Ausstellung „Zwischen Utopie und Anpassung“ mit ihren Verbindungen zum Bauhaus auseinandergesetzt. Die Ergebnisse ihrer Spurensuche werden für die Dauer der Ausstellung vom 27. April bis zum 4. August im Schlossatelier ausgestellt.

Bauhaus-Ticket

In Kooperation mit der VWG bietet das Landesmuseum Oldenburg ein Bauhaus-Ticket an, das Besucherinnen und Besucher am Tag der Ausstellungseröffnung zur An- und Abreise in allen Bussen im Liniennetz der VWG berechtigt.

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