„Autonomy Cube“ macht das „Tor“ auf
Trevor Paglen (links) und Jakob Appelbaum wirkten bei der Dokumentation „Citizenfour“ mit.
Foto: Edith-Russ-Haus
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Oldenburg / red / pm – Das Edith-Russ-Haus für Medienkunst präsentiert bis zum 3. Januar die Ausstellung „Autonomy Cube“, für die kein Eintritt erhoben wird. Bei dem „Autonomy Cube“ handelt es sich um eine Skulptur, die zugleich ein offenes Netzwerk, also einen Wi-Fi-Hotspot darstellt. Entwickelt wurde der Cube gemeinsam von dem Künstler Trevor Paglen und dem Hacker und Forscher für Computersicherheit Jacob Appelbaum, um damit in Zeiten von Internetüberwachung den Nutzern einen anonymisierten Zugang ins Netz zu ermöglichen. Beide waren an der Dokumentation „Citizenfour“ über Edward Snowden beteiligt.
Trevor Paglen macht in seinen Fotografien von schwer bewachten Überwachungs- und Militärzentren das Unsichtbare sichtbar und visualisiert so das neue Zeitalter der „Herrschaft der Algorithmen“ (FAZ). Er war einer der Kameraleute des Oscar prämierten Dokumentarfilms „Citizenfour“. Jacob Appelbaum ist einer der Hauptcharaktere dieses Films über die von Edward Snowden aufgedeckte globale Überwachungs- und Spionageaffäre. Appelbaum wirkte an der Auswahl der Enthüllungsdokumente mit und arbeitete zusammen mit dem Spiegel und dem Guardian an deren Auswertung. Zudem ist Appelbaum Kernmitglied des Tor-Projekts, dessen Verschlüsselungsschema er und Paglen auch für ihren „Autonomy Cube“ nutzen. Tor steht für „The Onion Router“, die Verschlüsselung gleicht also einer Zwiebel mit vielen Schichten. In der Umsetzung bedeutet dies, dass ein globales Netzwerk aus tausenden von Freiwilligen zur Verfügung gestellten Servern, Relais und Diensten entsteht, das die Anonymisierung von Nutzerdaten ermöglicht. Im „Autonomy Cube“ befinden sich mehrere mit dem Internet verbundene Rechner, die den gesamten Wi-Fi-Verkehr über das Tor-Netzwerk routen.
Der Cube befindet sich in der Ausstellungshalle des Edith-Russ-Hauses und ist auf dieser Ebene das einzige Kunstwerk. Er soll nicht nur freien und anonymisierten Zugang zum Internet ermöglichen, sondern darüber hinaus einen einladenden öffentlichen Raum für alle Interessierten bieten. Deshalb bleibt der Eintritt während des gesamten Ausstellungszeitraumes kostenfrei. So hat jeder freien Zugang zu diesem Netzwerk und kann es zum nicht überwachten Surfen im Internet nutzen.
Der „Autonomy Cube“ nutzt das Tor-Netzwerk.
Foto: Trevor Paglen
Der „Autonomy Cube“ dient jedoch nicht nur als Wi-Fi-Hotspot in Oldenburg. Im Verweis auf die ebenfalls kubische Architektur des Edith-Russ-Hauses eröffnet er eine weitere Ebene: Die Skulptur und ihre in allen Ecken des Ausstellungsraums installierten Relaisstationen verwandeln den Bau als Ganzes in einen „Autonomy Cube“. Erstmals dient das Tor-Relais des Cubes auch als ein exit node (Austrittsknoten), indem er sich mit dem Netzwerk der von Freiwilligen zu Verfügung gestellten Server verbindet und so Benutzern rund um den Globus eine anonyme Nutzung des Internets ermöglicht – weit über die eigentlichen Begrenzungen des Ausstellungsraumes hinaus.
In den Ausstellungsräumen im Untergeschoss des Edith-Russ-Hauses haben Paglen und Appelbaum weitere Arbeiten und Präsentationen entwickelt, die Fragestellungen zum Tor-Netzwerk, zu Überwachung und Datenschutz aufwerfen und so einen Raum gestalten, der die Gesamtheit des sozialpolitischen Kontextes behandelt, der auch den Cube geprägt hat. Neben einem öffentlichen Bibliotheks- und Lesesaal bieten Videovorführungen von Vorträgen und Debatten die Möglichkeit zu einer eingehenderen Auseinandersetzung mit dem komplexen Themenkreis. Eine Videoprojektion wird den steten Datenfluss der Server-Skulptur sichtbar machen und einer Systemanalyse vergleichbar die Präsentation des „Autonomy Cube“ vervollständigen.
Die Kuratoren Edit Molnár und Marcel Schwierin haben die ganze Ausstellung rund um den „Autonomy Cube“ konzipiert, um sowohl auf die allmähliche Durchdringung des Alltags durch Überwachungstechnologie zu verweisen, als auch auf das beunruhigend geringe Interesse der Öffentlichkeit an diesen Vorgängen, die durchaus in der Lage sind, offene Gesellschaften in Überwachungsstaaten zu verwandeln. Angesichts der ständigen Weiterentwicklung dieser Technologien und nach den journalistischen Enthüllungen der jüngsten Zeit, die diese Vorgänge sichtbar gemacht haben, ruft das Projekt des „Autonomy Cube“ erneut die utopischen Ideen aus den Anfangsjahren des Internets in Erinnerung. „In einer Zeit, in der wir im Netz mehr und mehr der ständigen Gefahr der Bespitzelung ausgesetzt sind, soll so die notwendige Debatte über die Freiheit der Kommunikation, das Recht auf Privatsphäre sowie die persönliche Würde neu belebt und weitergeführt werden“, so die beiden Kuratoren.
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