Staatstheater: „Cabaret“ sorgt für gemischte Gefühle
Oldenburg (vs) Das Erfolgsmusical „Cabaret“, uraufgeführt 1966 am Broadway in New York City, hat entsprechend der derzeitigen politischen Lage in vielen Ländern der Welt auch in der aktuellen Inszenierung am Oldenburgischen Staatstheater leider nichts an Aktualität und Schrecken verloren. Regisseurin Katja Wolff versetzt die Geschichte um den Berliner Nachtclub KitKat mit seiner Sängerin Sally Bowles (Sophia Euskirchen als wahrer Glücksgriff) und dem erfolglosen amerikanischen Schriftsteller Clifford Bradshaw (Moritz Carl Winklmayr) aus den ursprünglichen 1920er Jahre zeitlos aber modern in Szene. Die Regisseurin scheut keinen Bezug zu politisch rechten Tendenzen von heute und dem erschreckend vorhandenen Rechtsextremismus. Rechte Politik und eine dekadente Gesellschaft im Strom von Macht, Mitläufern und Denunzianten stehen damals wie heute auf der Agenda. Katja Wolff verzichtet bewusst auf das Zeigen von Uniformen und Hakenkreuzen und rückt ihre Interpretation damit zusätzlich ins heutige Licht. Diese Idee sorgt für beängstigende, weil auch vorhandene, Aktualität. Das Publikum feiert mit langem und herzlichen Applaus die bekannten Hits wie „Willkommen.Bienvenue.Welcome“ und „Life is a Cabaret“ auch dank der perfekten Gesangsleistungen der überwiegend als Gäste engagierten Sängerinnen und Sänger.
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In „Cabaret“ bekommen das Gebaren der „Neuen Rechte“, wie sie in der Oldenburger Fassung bezeichnet wird, besonders schmerzhaft die geschäftstüchtige und zugleich liebevolle Pensionsbesitzerin Fräulein Schneider (Heike Jonca) und der rührige und sensible jüdische Obsthändler Herr Schultz (Thomas Marx) sowie die Tanztruppe „KitKats“ zu spüren. Die romantische und zugleich tragische Liebesgeschichte der Beiden mit ihren unterschiedlichen Lebensansätzen, sorgt für berührende und fast intime Momente auf der Bühne des Großen Hauses mit ihrem Glanz und Glamour. Ihre beeindruckenden, gefühlvollen Gesangseinlagen tragen ein Weiteres dazu bei.
Die Inszenierung von Katja Wolff mit ihrem aktuellen Bezug geht trotz der geschlossen beeindruckenden Ensembleleistung nur bedingt auf. Viele Szenen bis zur Pause wirken zusammenhanglos und erscheinen mit ihren dazwischen gesetzten Gesangspartien als Nummernrevue. Es fehlen der Drive und manche Dialoge und Szenen gehen nicht konform mit der modernen Inszenierung. Besonders auffällig ist das bei Pensionsgast Fräulein Kost (Kira Primke) mit ihren regen Herrenbesuchen, die zeitlich fehlplatziert wirkt aber mit ihrer frechen berliner Schnauze sehr gut ankommt beim Publikum. Zotige Witze und Sprüche sind wie so oft in unterhaltsamen Stücken eine Garantie für Lacher, die im krassen Gegensatz zum tragischen Verlauf fast befreiend wirken. Das Erstarken der „Neuen Rechte“ kommt bei Katja Wolff nicht schleichend, sondern unvermittelt, wenn völlig zusammenhanglos der Begriff „Remigration“ fällt. Mit einem weiteren überraschenden Effekt, der verwirrt und nachdenklich stimmt, wird das Publikum in die Pause geschickt. Erst im zweiten Teil zeigen die Rechten mit ihrem starken Mann Ernst Ludwig (Hagen Bähr) als Anführer ihr wahres Gesicht. Ein subtileres Heranführen ihrer Gesinnung hätte für mehr Gänsehaut gesorgt. Die Rolle des Conferenciers (Kammersänger Paul Brady) wird ungewohnterweise relativ klein und unscheinbar gehalten und glänzt eher durch glitzernde Kostüme.
„Cabaret“ überzeugt dank starkem Gesangsensemble
Musikalisch und gesanglich bewegt sich „Cabaret“ in Oldenburg auf hohem Niveau. Das auf neun Mitglieder verkleinerte Orchester unter der Leitung von Eric Staiger ist auf der Bühne platziert und ist aktiv im Geschehen präsent. Die KitKats sind in der Choreografie von Kati Farkas schwungvoll aber eher konservativ inszeniert. Das in Gold gehaltene Bühnenbild (Jule Dohrn-von Rossum) samt Showtreppe und Laufsteg ins Publikum ist praktisch und fast statisch angelegt. Die für das Publikum angeordneten Bistrotische direkt am Laufsteg lassen echtes Cabaret-Gefühl aufkommen und werden direkt ins Spiel miteinbezogen. Die Kostüme (Alexander Djurkov Hotter) wirken pragmatisch und unauffällig und sind zum größten Teil dem zeitlos-modernen Ambiente angepasst.
„Cabaret“ am Oldenburgischen Staatstheater ist bereits zum Start ein Kassenschlager und mindestens bis zum Mai nächsten Jahres zu sehen. Das Publikum kann sich auf eine solide, unterhaltsame und zugleich in Teilen berührende Inszenierung mit einem Gesangsensemble auf hohem Niveau freuen. Dank des guten Tons in den Dialogen und Liedern ist das Ensemblee sehr gut zu verstehen. Wie subtil das Erstarken der Nationalsozialisten in „Cabaret“ bis zum gewaltbereiten, öffentlichen Auftritt voranschreitet, ist kein Ereignis der damaligen Zeit, sondern erschreckende Realität in Deutschland und dem Rest der Welt. Dieses beängstigende Phänomen auf die Bühne zu holen und dem Publikum damit auch einen Spiegel vorzuhalten, ist Aufgabe des Theaters, wie sie auch in Oldenburg immer wieder notwendig ist.
Vorstellungstermine und Karten gibt es unter www.staatstheater.de.
1 Kommentar
„Gemischte Gefühle..“ Ich habe die Generalprobe gesehen, mit dem Film verglichen, was im Nachhinein unfair war, denn ich kenne den zu Grunde liegenden Roman nicht.
Ich kann Volker nur zustimmen – geht hin, für ein aktuelles Bühnenstück ist das wirklich großartig!