Staatstheater: „Saal 600“ – beklemmend beeindruckend
Oldenburg (vs) Wenn das Saallicht zur Vorstellung von „Saal 600“ erlischt in der Oldenburger Exerzierhalle, gibt es für das Publikum für 60 Minuten kein Entkommen mehr. Ohne langes Herantasten und Überlegen legen die vier Simultandolmetscher/innen in „Saal 600 – Eine dokumentarische Sprechoper über die Nürnberger Prozesse“ los mit ihren unerschütterlichen Sprechsalven über Deutschtum, Auschwitz, Judenhass und Ausrottung. Dass so ein Theaterabend keine leichte Kost wird, war klar. Aber solch puren Menschenhass ohne Anzeichen von Reue in derart geballter Form ungeschminkt ins Gesicht geschmettert zu bekommen, muss man erstmal verdauen. Da erstaunt es sehr, dass der verdient starke Schlussapplaus doch so schnell nach dem letzten Satz fällt.
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Die neue Schauspielproduktion des Oldenburgischen Staatstheaters im Rahmen des „Technical Ballooms“ von Kevin Barz (Regie, Konzept, Textfassung) und Paul Brody (Komposition) bewegt und berührt, auch wenn die Schlagzahl der Wörter und Sätze hoch ist und somit volle Konzentration abverlangt. Ebenso ist die Musik kein harmonischer Melodienreigen, sondern sie passt sich dem schnellen Takt der Wörter an. Paul Brody hat dafür aus den Originalaufnahmen die Sprachmelodien der Prozessteilnehmer genommen und instrumental für ein Quartett umgesetzt.
Starkes Ensemble in der Exerzierhalle
In „Saal 600“ erlebt das Publikum den Prozessauftakt in Nürnberg am 20. November 1945 gegen die Hauptkriegsverbrecher des Nationalsozialismus. Erstmals kam in diesem, damals medial weltweit verfolgten, Verfahren das Simultandolmetschen zum Einsatz, was auch das Zuhören für das Theaterpublikum doppelt anstrengend macht. Die gleichzeitigen Stimmen auf Deutsch, Französisch, Englisch und Russisch und die rasant wechselnden Rollen verlangen genaues Hinhören. Das Ensemble mit Katharina Shakiva, Anouk Elias, Rebecca Seidel sowie Konstantin Gries wechselt fließend in Sprache und Mimik zwischen den Angeklagten und den Anklägern und erledigt diese herausfordernde Aufgabe mit Bravour. Ihre Leistung besteht in doppelter Hinsicht darin, so emotionslos und neutral wie möglich, die abscheulichen Geständnisse der Angeklagten zu übersetzen und im nächsten Atemzug in die Rollen eben dieser menschenverachtenden Angeklagten wie Hermann Göring und Rudolf Hess zu schlüpfen. Wie sie sie der psychische Druck in ihren Rollen mitnimmt, zeigen sie auf ihre ganz individuelle Art in ihrer Mimik und Körpersprache. Das Bühnenbild (Anika Stowasser) ist konzentriert auf die vier nebeneinander angeordneten, engen, Kabinen in denen die Übersetzer/innen ihre anstrengende Aufgabe zu leisten haben. Richard Sonnenfeldt, Übersetzer für deutsch und Englisch im Nürnberger Prozess, beschrieb seine Aufgabe so: „Unwillkürlich nahm ich die Stimme und Miene der Person, für die ich gerade dolmetschte, an, so dass ich abwechselnd einerseits der scharfe Anwalt und andererseits Göring, ein in die Ecke getriebenes Tier, war.“ Das perfekt eingerichtete Licht setzt die vier Akteure in ihren schmalen Kabinen dabei treffend in Szene.
„Nie wieder“, so aktuell wie nie
Hört man die, zumeist emotionslosen, Aussagen der sich für unschuldig haltenden Angeklagten aus dem Nürnberger Prozess in dem Stück „Saal 600“, so ist es erschreckend, wie ähnlich sich manche Haltungen der Nationalsozialisten von damals mit denen heutiger national geprägter Politiker/innen sind. Besonders die diesbezüglich aktuellen Ereignisse lassen aufhorchen und verstören zugleich. Ein „Nie wieder“ ist somit nicht nur eine oft daher gesagt Floskel, sondern ein erschreckend aktueller und dringender Appell an die Menschlichkeit und die Demokratie sowie an den Mut aufzustehen und sich laut und deutlich bemerkbar zu machen und Position zu beziehen.
„Saal 600“ ist noch am 18., 23., 26., 27., 29. und 30. Januar zu sehen.
Mehr Informationen und Karten sind unter www.staatstheater.de erhältlich.
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