Staatstheater: Tosender Applaus für das Stadt:Ensemble

Das Stadt:Ensemble des Oldenburgischen Staatstheaters berührt und begeistert im Kleinen Haus mit dem Stück „Wo de Tied vergeiht – Vom Vergehen der Zeit“. Bis Ende Juni ist das musikalische Stück mit Geschichten und Gedanken zur eigenen Vergänglichkeit noch achtmal zu sehen.
Foto: Stephan Walzl
Oldenburg (vs/ki) Das Stadt:Ensemble des Oldenburgischen Staatstheaters ist im Kleinen Haus mit einer sehenswerten und überzeugenden Produktion vom Premierenpublikum zu Recht enthusiastisch und mit Ovationen gefeiert worden. „Wo de Tied vergeiht – Vom Vergehen der Zeit“ wurde von Regisseurin Hanna Puka und Dramaturgieassistentin Annika Müller mit dem Ensemble erarbeitet und auf die Bühne gebracht. Das 15-köpfige Ensemble, bestehend aus Menschen im Alter von 22 bis 78 Jahren, kommt aus Oldenburg und dem weiteren Umland. In hoch- und plattdeutscher Sprache sowie mit viel Live-Musik am Klavier und Liedern auf Deutsch, Englisch und Ukrainisch (Musik und Darsteller: Jens Marnowsky) setzt sich das Ensemble mit Zeit, Vergänglichkeit, Vergangenheit und Zukunft auseinander. Auf emotionale Weise erzählen sie Geschichten und Gedanken zu Erlebnissen aus ihrem Leben. Lebensfragen, Schicksalsschläge und persönliche Höhepunkte werden thematisiert wie Kriegserlebnisse und Fluchtdramen. Demenz und Sexualität im Alter bekommen ebenfalls ihren Raum. Der sogenannte „rote Faden“ ist die Einladung von vier Freundinnen zu einer Party – ohne den Grund zu verraten. Erst am Ende der 90 Minuten Spielzeit enthüllen die vier langjährigen Freundinnen ihr Geheimnis, mit dem niemand der Anwesenden gerechnet hätte. Dieser emotionale Moment regt das Publikum spürbar zum Nachdenken über die eigene Vergänglichkeit an.
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Lacher und Tränen im Kleinen Haus
Beim Zuschauen von „Wo de Tied vergeiht – Vom Vergehen der Zeit“ vergisst man nach nur wenigen Szenen, dass Amateure auf der Bühne stehen. Mit großer Präsenz und Spielfreude gelingt es, die sehr persönlichen Erlebnisse so auf die Bühne zu bringen, dass der Funke unmittelbar auf das Publikum überspringt. Nicht alle erzählen ihre eigene Geschichte – nicht für jede/n war es möglich, sich so offen dem Publikum zu zeigen. Umso bewegender ist es etwa, wenn Anna Myronova ihre Fluchtgeschichte erzählt und sich dabei mit einem Lied in ihrer Muttersprache an der Akustikgitarre selbst begleitet. Eine Szene, die sie selbst zu Tränen rührt und für absolute Stille im Kleinen Haus sorgt.
Das Thema Demenz ist allgegenwärtig – auch innerhalb des Ensembles bei Familie und Freundschaften. Norbert Stieglitz verkörpert einen älteren Mann, der unter dem Fortschreiten dieser Krankheit leidet. Seine Darstellung ist besonders eindringlich und berührend. Wer selbst Betroffene in der Familie hat oder hatte, erkennt vieles wieder.
„Wegweiser“ berührt am Ende
Doch es darf auch gelacht werden – über das Alter genauso wie über die Begegnungen zwischen Jung und Alt. Gegen Ende der Inszenierung verliert das Stück etwas an Tempo. Das Lied „Wegweiser“ von Franz Schubert, gesungen von Horst Zimmermann, wäre ein passender, emotionaler Schlusspunkt gewesen. Sein leiser Abgang auf der abgedunkelten Bühne hätte einen starken Abschluss gebildet.
Die schlicht gehaltene Bühne (Bühne und Kostüme: Anai Dittrich) beeindruckt durch einen großen, blau leuchtenden Lichtkreis an der Bühnenrückseite – ein stilisiertes Symbol für das Vergehen der (Uhr-)Zeit. „Wegweiser“ passt perfekt zu diesem Bild, wenn Horst Zimmermann am Ende des Liedes durch diesen Kreis ins dunkle Nichts schreitet.
„Wo de Tied vergeiht – Vom Vergehen der Zeit“ ist ein beeindruckendes Stück Theater – von Menschen für Menschen. Ein gelungener Abend, der zum Nachdenken über den eigenen Umgang mit der Zeit und ihre sinnvolle Nutzung anregt und inspiriert.
Informationen, Vorstellungstermine und Karten unter: www.staatstheater.de oder telefonisch unter 0441 2225 111.
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