Tatort Göttingen: „Die Rache an der Welt“
(Achim Neubauer) Gut drei Wochen nach der Weltpremiere beim Oldenburger Filmfest wird der neue Tatort der Kommissarinnen Charlotte Lindholm und Anäis Schmitz am 9. Oktober in „Das Erste“ gesendet. Die biogenetische Herkunftsanalyse soll helfen, einen Frauenmörder in der Universitätsstadt zu überführen.
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Wieder einmal hält sich Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) nicht an die Regeln des Gesetzes; der Druck, der auf ihr und Kollegin Anais Schmitz (Florence Kasumba) lastet, ist aber auch groß. Seit geraumer Zeit schon treibt in Göttingen der „Wikinger“ sein Unwesen; er belästigt Frauen, missbraucht sie und nun gibt es eine Leiche. Ein Zeuge hat den mit einem Fahrrad flüchtenden Täter beobachtet. Er ist sich sicher: „Dunkle Haare, stechender Blick“; das sei keine europäische Tat gewesen. „Weißer“ Frauenfeind oder „dunkler“ Flüchtling, auf diese Frage fokussieren sich jetzt die Ermittlungen.
Grimmepreis-Träger Daniel Nocke (Drehbuch) und Regisseur Stefan Krohmer erzählen den von einem realen Fall inspirierten Film, als Gratwanderung zwischen den Welten von engagierten, teilweise allerdings erschreckend naiven Flüchtlingshelfern (Michaela Hanser und Jogi Kaiser) und behaupteten rassistischen Vorurteilen einer verunsicherten Bevölkerung. Das, was offenbar recht fein differenziert im Buch angelegt war – so viel sei denn doch gleich verraten – wird von den Akteuren vor der Kamera nur in recht beschränktem Maße umgesetzt.
Sehr wohl profiliert Mala Emde einfühlsam die Rolle von Jelena, der Mitbewohnerin der Toten; Leonard Carow, der Freund der Toten, hat ebenfalls einen starken Auftritt und Florence Kasumba als Hauptkommissarin Anais Schmitz spielt – gerade durch ihre Zurückhaltung – erneut den gesamten Cast an die Wand.
Zu plakativ bleiben aber der eingangs erwähnte Zeuge (Tilmann Huster), zu vorhersehbar die Einlassungen von Kriminaldirektor Gerd Liebig (Luc Feit), zu wenig Raum bekommt die Geschichte vom Flüchtling Eidin Jalali (Munir Kerdagli), zu eindimensional schließlich die schauspielerischen Fähigkeiten von Maria Furtwängler, die einfach nicht dazu in der Lage ist, einen genau auf sie zugeschnittenen Film auch allein zu tragen. Ihre Kommissarin schwankt zwischen Feminismus und Rassismus. Sie lässt weder Regeln von Kollegialität gelten, noch respektiert bzw. akzeptiert sie Gesetze. Im Interview nennt Furtwängler das schön-geredet „unkonventionelle Wege“ gehen. Tatsächlich stellt sich allerdings bei den Lindholm-Fällen immer öfter die Frage, inwieweit die NDR-Redaktion der Göttingen-Tatorte „Recht und Gesetz“ als Verfügungsmasse verstehen will, an die sich die Kommissarin halten kann oder auch nicht. In jedem Fall eine nicht unproblematische Interpretation der Regeln, die Polizei und Justiz gegeben sind. „Ein Tatort ist kein Debattenbeitrag“, behauptet Furtwängler im Pressematerial und verkennt damit zum einen die Relevanz der Filme, die immer noch bis zu 30 Prozent Marktanteile holen und zum anderen wie sehr der Subtext dieser Fiktionen dann doch wieder gesellschaftliche Stimmungen (mit-)prägen kann.
Zwiespältig bleibt der Eindruck, den „Die Rache an der Welt“ hinterlässt. Wieder einmal wird ein wichtiges Thema verschenkt; Motive und Verdächtige wechseln sich in munterer Folge ab; die Suche nach dem Täter endet dann allerdings schließlich mit einem recht interessanten Twist.
Gut zu wissen
- „Die Rache an der Welt“ wurde mit dem Arbeitstitel „DNA“ bereits vom 8. August bis 9. September 2020 in Göttingen, Hannover, Hamburg und Umgebung gedreht.
- Autor Daniel Nocke entwickelte bereits drei Tatorte für den Kieler Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und den Murot-Tatort „Das Dorf“.
- In Vorbereitung befindet sich ein weiterer Lindholm-Tatort mit dem Arbeitstitel „Die dunkle Seite der Liebe“. Geschrieben wird dieser von dem renommierte Drehbuchautor Stefan Dähnert. Aus seiner Feder stammt der hochgelobte Lindholm-Doppeltatort „Wegwerfmädchen / Das goldene Band“; sein Buch „Der geheime Garten“ lehnte Maria Furtwängler allerdings wegen vermeintlicher Qualitätsmängel ab.
- Darüber hinaus wird von ihr immer noch nicht der Gedanke eines „Musical-Tatort“ aufgegeben.
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