Germanistin sieht „reflexhafte Abwehr“ beim Gendern
Mannheim (dts Nachrichtenagentur) – Carolin Müller-Spitzer vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) stellt teilweise eine „reflexhafte Abwehr“ fest, wenn es um das Thema Gendern geht – selbst unter Sprachexperten. „Es gibt auch in Teilen der Wissenschaft die Angst, man greife durch das Gendern zu sehr ins Sprachsystem ein“, sagte die Germanistikprofessorin dem „Mannheimer Morgen“ (Freitagausgabe). Der Sprachwandel in anderen Bereichen würde dagegen kaum beachtet.
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Ein Sprachdiktat, wie es manche Gegner des Gendern behaupten, gebe es nicht. „Keiner wird gezwungen, im Privaten zu gendern“, so die Professorin. Weitere Forschung zur geschlechtergerechten Sprache ist laut Müller-Spitzer nötig. Einzelne Wörter wie „Arzt“ oder „Einwohner“ würden Menschen unterschiedlich stark mit einem Geschlecht verknüpfen. Auch der Kontext spiele eine Rolle beim sogenannten generischen Potenzial von Wörtern. Wie genau Kontext und Wörter wirken, sei noch unklar. Müller-Spitzer leitet das Projekt Empirische Genderlinguisitik, das im Mai dieses Jahres am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) gestartet ist.
Foto: Vier junge Leute auf einer Treppe, über dts Nachrichtenagentur
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„Reflexhafte Abwehr“ ist schon eine Frechheit. Hier mal ein paar Sprachwissenschaftler, die sehr überlegt und wohlbegründet und gar nicht „reflexhaft“ das Gendern kritisieren: Martina Werner, Ewa Trutkowski, Heide Wegener, Gisela Zifonun, Elisabeth Leiss, Elke Donalies, Katharina Zipser, Peter Eisenberg, Helmut Glück, Josef Bayer, Wolfgang Klein, Hans-Martin Gauger, Ivo Hajnal, André Meinunger, Franz Rainer, Hans-Dieter Pohl, Gero Fischer. Germanisten z. B.: Gábor Fónyand, Tomas Kubelik, Theodor Ickler. Philosophen u. a.: Philipp Hübl, Svenja Flaßpöhler, Robert Pfaller. Diese „Studien“, die den Kontext nicht beachten, und das sind im Grunde alle, sind ein Witz. Denn wir verwenden Wörter nun mal im Kontext und nicht als Einzelwörter. Gern wird auch unterschlagen, dass es Studienergebnisse gibt, die zeigen, dass wir genersiche Maskulian sehr wohl korrekt, also geschlechtsneutral, verstehen. Z. B. De Backer, De Cuypere: The interpretation of masculine personal nouns in German and Dutch: a comparative experimental study. Ghent University Academic Bibliography. 2012. https://biblio.ugent.be/publication/3197217/file/6788981
Die Studie ergab, dass generische Maskulina im Plural (z. B. Ärzte, Politiker, Zuschauer) in allen getestet Sätzen von den Probanden zu 97 % als geschlechtsneutral interpretiert wurden. Dabei wurden Rollenbezeichnungen (z. B. Besucher, Schüler) von den Probanden sogar zu 99 % neural interpretiert, bei Berufsbezeichnungen (z. B. die Ärzte, die Musiker) waren es 94 %. (Getestet wurden: Apotheker, Arzt, Assistent, Athlet, Künstler, Musiker, Politiker, Schauspieler, Abonnent, Begleiter, Besucher, Bewohner, Leser, Mieter, Schüler, Zuschauer.)