Wer das Dunkelfeld erhellt, muss für Hilfe sorgen
Oldenburg (am) Im Rückblick auf 2013 hat die Europa-Studie zum Thema Gewalt gegen Frauen der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) gezeigt, dass körperliche, sexuelle und / oder psychische Gewalt keine Randerscheinung ist. Auch in Niedersachsen steigen die Fallzahlen kontinuierlich – in 2012 auf 15.141 Straftaten. Die wesentlichen Delikte sind Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Tötungsdelikte sowie Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung. In Oldenburg musste das Autonome Frauenhaus im vergangenen Jahr von 166 hilfesuchenden Frauen 82 wegen Überbelegung ablehnen – mit ihren 39 Kindern.
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„Das ist eine erschreckend hohe Zahl und gesellschafts-politisch gesehen, ein Skandal“, sagte Anja Kröber vom Autonomen Frauenhaus Oldenburg im Rahmen einer Pressekonferenz des Autonomen Frauenhauses und der Beratungsstelle BISS am heutigen Donnerstag. Anja Kröber berichtet über einen kürzlich erfolgten Anruf einer Hilfesuchenden aus dem Landkreis Ammerland: „Sie sind das fünfte Frauenhaus, das ich anrufe.“ Auch für diese Frau stand in dem Oldenburger Frauenhaus kein Platz bereit. 84 Frauen und 53 Kinder haben 2013 im Autonomen Frauenhaus Zuflucht gefunden, die Belegung lag bei 97 Prozent. „In den anderen niedersächsischen Frauenhäusern sieht es nicht anders aus“, weiß Anja Kröber.
Laut Europarat sollte pro 10.000 Einwohnern ein Frauenhausplatz zur Verfügung stehen. „In Oldenburg stünden wir mit 20 Plätzen gut da“, so Kröber. „Wenn man aber bedenkt, dass in den Landkreisen Ammerland, Cloppenburg und Wesermarsch weitere 370.00 Menschen leben und es dort keine Frauenhäuser gibt, tut sich eine riesige Versorgungslücke auf.“ Lediglich in Wildeshausen würde ein weiteres Angebot für Frauen, die Schutz suchen, bestehen. In Niedersachsen stehen dem Wunsch des Europarates von umgerechnet 770 Frauenhausplätzen bei 7,77 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern nur 352 vorhandene Plätze gegenüber.
Die steigenden Fallzahlen sind auf die öffentliche Thematisierung der „Häuslichen Gewalt“ zurückzuführen, sind sich Anja Kröber und Gisela Stockem, Leiterin der BISS-Beratungsstelle, einig. Beispielsweise wurde vor einem Jahr eine bundesweites Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ eingerichtet. Nach sechs Monaten wurden dort bereits 43.000 Anrufer_innen (Frauen, Lehrkräfte, Angehörige) verzeichnet. „Dies zeigt, dass Häusliche Gewalt trotz vielfältiger gesamtgesellschaftlicher Unternehmungen noch immer viel zu häufig tabuisiert und unter der Decke gehalten wird. Die Folgen sowohl für die Opfer als auch für die gesamte Gesellschaft sind beträchtlich“. Das niedersächsische Innenministerium teilt mit, dass eine Studie ergeben habe, dass das Dunkelfeld nach wie vor erheblich sei. „Wenn das Dunkelfeld jetzt erhellt wird, muss man auch für die Unterstützung und Hilfeleistung sorgen“, meint Kröber dazu. Aber die Förderung durch das Land Niedersachsen sei nicht mitgewachsen und nur geringfügig gestiegen.
Die BISS, Beratungs- und Interventionsstelle bei Häuslicher Gewalt, besteht seit acht Jahren in Oldenburg. Neben dem stationären Hilfeangebot des Frauenhauses wird hier ambulante Unterstützung geboten. In 2011 meldeten sich bei BISS 134 Frauen, 124 in 2012 und im vergangenen Jahr 145. Die Polizei leitete 220 (2011), 340 (2012) und 306 (2013) Fälle weiter. Gewalt von Frauen gegen Männern kam mit vier bis fünf Fällen in 2013 selten vor. Hinzu kommen jährlich zirka 20 bis 30 Fachberatungen und rund zehn anonyme Beratungen von Selbstmelderinnen. Die Zahlen zeigten immer noch einen so geringen Anteil, dass daran keine Zu- oder Abnahmen zu erkennen seien. „Von den Fällen werden uns nur ein paar Prozente bekannt“, so Gisela Stockem. Es sei davon ausgegangen worden, dass die Einrichtung BISS für Entlastung beim Autonomen Frauenhaus sorgen würde. Es gebe jedoch kaum Überschneidungen. BISS wird vom Land Niedersachsen gefördert, die Stadt Oldenburg stellt die Infrastruktur wie die Räumlichkeiten zur Verfügung.
Forderung
Es fehlt eine regelmäßige, landesweite Bedarfsanalyse und eine verlässliche Finanzierung der Frauenhäuser. „Dies ist eine Aufgabe für den Bund“, fordern die beiden Fachfrauen. Zurzeit würden die Einrichtungen von der Stadt Oldenburg und des Landes Niedersachsen gefördert bzw. unterstützt. Die finanziellen Mittel für die Personalkosten müssen jährlich beantragt werden. Die restlichen Kosten werden durch Spenden, Bußgelder und Mieten der Bewohnerinnen aufgebracht. „Auch das niedrigschwellige Angebot müsse unbedingt weiter ausgebaut werden, damit Betroffenen der Ausstieg aus teils über viele Jahre andauernden gewalttätigen Beziehungen gelingt und der Gewaltkreislauf unterbrochen und nicht von einer Generation auf die andere weitergegeben wird“. Die beiden Pädagoginnen hoffen, dass sie nicht noch mehr Frauen abweisen müssen und Beratung nur noch telefonisch stattfinden kann.
Landesförderung 2014
Sozialministerin Cornelia Rundt teilte mit, dass die Förderung der Frauenhäuser, Gewaltberatungsstellen, Notrufe und Beratungs- und Interventionsstellen von 5,329 Millionen um 160.000 Euro auf 5,489 Millionen Euro für 2014 erhöht würde. Die drei Mädchenhäuser in Hannover, Oldenburg und Osnabrück, die auch Mädchen nach Gewalterlebnissen beraten und unterstützen, erhalten ab sofort jeweils 75.000 Euro in 2014 statt zuvor 60.000 Euro pro Jahr. Die Förderung des Bereichs Täterarbeit gegen häusliche Gewalt wurde von 140.000 Euro um 80.000 Euro auf nunmehr 220.000 Euro erhöht.
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