Edith-Ruß-Haus: Das Geschenk als Groschengrab
Oldenburg (Michael Exner) Falls nichts Grundlegendes mehr passiert, wird das Edith-Ruß-Haus im Frühjahr durch Ratsbeschluss den Namen seiner Stifterin verlieren – weil die 1993 verstorbene frühere Journalistin und spätere Lehrerin einst als Schriftleiterin in die NS-Propagandamaschinerie verstrickt war und nach 1945 ihre Parteimitgliedschaft verschwiegen hatte. Die politische Mehrheit steht, doch bis zur Entscheidung prallen weiter Welten aufeinander – sehr leidenschaftlich und sehr fruchtlos.
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Hier treffen die lupenreinen Moralisten (ein gutes Gewissen ist a posteriori bekanntlich günstig zu haben) auf die notorischen Relativierer (mit dem Totschlagargument im Tornister, man solle mal überlegen, wie man sich denn selbst damals verhalten hätte). Beide Wege führen in die Irre – mit dem einzigen Effekt, dass sich dabei die Ereiferer ereifern. Da werden die Schlachten der Vergangenheit geschlagen, die in den 50er und 60er Jahren hätten geschlagen werden müssen – was seinerzeit aus gleichermaßen nachvollziehbaren wie selbstsüchtigen Motiven unterblieben ist.
Ein halbes Jahrhundert später kann das Kriterium für Taufe und Umtaufe oder das Streichen aus der Ehrenbürgerliste sinnvoll nur eines sein: Würden wir mit dem Kenntnisstand von heute eine Schule, eine Straße, ein Museum, einen Kindergarten oder ein Theater noch einmal nach (beispielsweise) Edith Ruß, August Hinrichs, Bernhard Winter oder Hedwig Heyl benennen? Wenn ja (weil etwa im Fall Ruß die spätere Arbeit mit behinderten Kindern schwerer wiegen könnte als das jugendliche Besingen des fröhlichen Heldentodes), kann alles bleiben, wie es ist – im Zweifel mit einer erläuternden Tafel zum historischen Kontext. Wenn nein (weil etwa Hinrichs seinen Blut-und-Boden-Schund um die Stedinger eben nicht als Jungspund, sondern in seinen 50ern verfasst hat oder Heyl es bei allen Verdiensten um die Frauenbewegung mit ihrer Verschickung von „geeignetem Mädchenmaterial“ gegen die „Verkafferung der deutschen Kolonialelite“ doch zu weit getrieben hat), dann wird halt umbenannt. Das lässt sich nüchtern mit- und gegeneinander abgleichen – ohne Schaum vorm Mund. Auch dann sieht übrigens Edith Ruß nicht allzu gut aus.
Und dann sind da noch die ganz Schlauen, die alle aktuellen Diskussionen gern mit der moralischen Keule plattieren möchten: Wer den Namen der Stifterin auslöschen wolle, heißt es aus dieser Richtung, habe damit das Recht auf das Gestiftete verwirkt. Im Fall der Umbenennung müsse die Stadt folglich das Geschenk zurückgeben. Die Art der Argumentation ist ein anschaulicher Beweis dafür, dass sich tatsächliche oder vermeintliche, zumeist aber selbsternannte Kulturbeflissene aus finanziellen Fragen besser heraushalten sollten. Denn Geschenk? Wenn überhaupt, dann war und ist das ein klassisches Danaergeschenk oder – wie man andernorts sagen würde – ein Groschengrab.
Die Wahrheit liegt in den Zahlen. Bei ihrem Tod 1993 hinterließ Edith Ruß umgerechnet 1,02 Millionen Euro (der Legende zufolge vom Munde abgespart beim kärglichen Lehrerinnengehalt). Bei der Abrechnung durch die Testamentsvollstreckerin 2001 waren daraus 1,19 Millionen geworden. Die Baukosten für das Medienkunst-Haus lagen bei 2,01 Millionen. Das heißt, die Stiftung reichte nicht mal für den eigentlichen Bau aus. Geschlossen wurde die Lücke durch einen Zuschuss der Bürgerstiftung (99 000 Euro) und 720 000 Euro von der Stadt Oldenburg. Über 200 000 Euro davon kamen aus dem (nicht zweckgebundenen) Testament einer gewissen Elisabeth Brand (gestorben ebenfalls 1993). Die passte ganz gut zur Stifterin, war sie doch einst Propagandaleiterin der NS-Frauenschaft Varel und nach ihrem Umzug Blockwartin bei der NS-Frauenschaft Oldenburg. Das postmortale Zusammentreffen der beiden Damen in einem Bau könnte zu allerlei neckischen Namensspielchen im Falle einer Umbenennung verleiten. Aber für die Sparte politische Geschmacklosigkeit ist hierzulande ja neuerdings die FDP zuständig.
Die Rechnung geht aber noch weiter. Etwas Kleingeld kostet so ein Museumsbetrieb nebenbei ja auch. Im vergangenen Jahr war das eine knappe Million; präzise 998 547 Euro. 850 326 Euro davon zahlte die Stadt als Zuschuss. In der Bilanz hat das Ruß-Haus also gerade mal 14,8 Prozent der eigenen Kosten eingespielt. Unterm Strich betrug der städtische Zuschuss von 2001 bis 2023 (bei 14,9 Millionen Gesamtkosten) 12,05 Millionen Euro (in der Fußball-Mathematik ein Viertel Stadion). Ein Verzicht auf das „Geschenk“ oder eine Rückgabe (an wen?) wäre in erster Linie eine frohe Botschaft für die Finanzdezernentin.
Dazu passt eine Anekdote, die, sofern sie nicht stimmen sollte, zumindest gut erfunden ist. Ein früherer Oberbürgermeister soll nach seiner Wahl die Finanzströme auf Einsparpotenziale durchforstet haben und dabei auf die Idee verfallen sein, das Ruß-Haus zu verschenken. Dabei dachte er u.a. (wegen Medienkunst) auch an die Universität. Als er diese Überlegung im Kreise möglicher Adressaten vortrug, soll sich der Uni-Präsident ganz schnell unterm Tisch die Schuhe zugebunden haben.
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