Filmfest

Filmfest: Von der Eröffnung bis zur Closingnight

Closing Night: Bei der Vergabe der Awards sind auch in diesem Jahr wieder Tränen geflossen.

Closing Night: Bei der Vergabe der Awards sind auch in diesem Jahr wieder Tränen geflossen.
Foto: Lawrence Diederich / Filmfest Oldenburg

Oldenburg (am/ce/vs) Mit dem Gang über den roten Teppich begann gestern das 29. Internationale Filmfest Oldenburg. Die Eröffnungsgala fand in der Kongresshalle der Weser-Ems-Hallen statt. In den kommenden fünf Tagen werden rund 40 Filme an sieben Spielorten gezeigt. Leider ist die Justizvollzugsanstalt (JVA) nicht darunter. Wegen einiger Corona-Erkrankungen mussten die Screenings kurzfristig abgesagt werden. Die Redaktion der Oldenburger Onlinezeitung wird diesen Artikel während des Filmfestes laufend erweitern und über die Filme berichten.

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Keine Filme in der JVA

Leider müssen wir in diesem Jahr unseren Filmfestartikel mit einer Absage starten. In der JVA zeichnet sich ein beginnendes Corona-Infektionsgeschehen ab. Zur Sicherheit aller werden deshalb die beiden Tatorte „Leben Tod Ekstase“ und „Die Rache an der Welt“ abgesagt. Sie werden aber im Casablanca Kino zu sehen sein. Der Eröffnungsfilm „The Ordinaries“ wird ebenfalls nicht in der JVA gezeigt und es gibt keinen weiteren Termin. Bereits erworbene Tickets für die drei Filme können in der Festivallounge am Markt 18 rückerstattet werden.

Die Eröffnungsgala

Mit einer Eröffnungsgala in der Oldenburger Kongresshalle wurde am Mittwoch das 29. Internationale Filmfest Oldenburg eröffnet. Festivalleiter Torsten Neumann hat das Filmfest gemeinsam mit Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Krogmann und Dr. Jörg Mielke, Chef der niedersächsischen Staatskanzlei (und Vorsitzender des Aufsichtsrates der nordmedia Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen mbH) eröffnet. Über den roten Teppich gingen unter anderem der Regisseur Mark Polish mit der Darstellerin Logan Polish (Murmur), Filmemacher John Hyams, dem gemeinsam mit seinem Vater eine Retrospektive gewidmet wird, und die Schauspielerin Andrea Rau, der diesjährige Tribute-Gast. Sie kam gemeinsam mit dem Regisseur von „Daughter of Darkness“, Harry Kübel. Weitere Gäste waren der Regisseur John Connors mit Team. Sie feiern die Weltpremiere des Filmes „The Black Guelph“. Für eine weitere Weltpremiere, „Subject 101“, werden Regisseur und Produzent Tom Bewilogua sowie die beiden Darsteller Antonio Wannek und Cem Ali Gültekin angereist. Der Schauspieler und Regisseur Juri Padel und Darsteller Thomas Schimanski kamen für die Weltpremiere von „Junk Space Berlin“ nach Oldenburg kommen. Mit dem blauen VfB-Oldenburg-Bus kam der Filmemacher, Autor und Komponist Somtow Sucharitkul, der sein Jugendorchester Siam Sinfonietta mitgebracht hat. Das Filmfestival 2022 wurde mit einiger Verzögerung und nach mehreren Filmmusik-Beiträgen mit dem Film „The Ordinaries“ in Anwesenheit der Produzentin Laura Klippel und den Darstellern Martin Umbach, Mélanie Fouché, Heinz Wanitschek und Denise M’Baye, feierlich eröffnet.

Das Team von „The Ordinaries“ (ohne die Regisseurin Sophie Linnenbaum) nahm an der Eröffnungsgala in den Weser-Ems-Hallen teil.

Das Team von „The Ordinaries“ (ohne die Regisseurin Sophie Linnenbaum) nahm an der Eröffnungsgala in den Weser-Ems-Hallen teil.
Foto: Anastasiia Hordieieva

Die Schauspielerin Andrea Rau hat der sexuellen Revolution in Deutschland im Film ein Gesicht gegeben. Sie wird in diesem Jahr geehrt.

Die Schauspielerin Andrea Rau hat der sexuellen Revolution in Deutschland im Film ein Gesicht gegeben. Sie wird in diesem Jahr geehrt.
Foto: Volker Schulze

Eröffnungsfilm: The Ordinaries (D, 2022)

Regie: Sophie Linnenbaum

Die Story:
Die Welt in „The Ordinaries“ ist ein Film – mit Haupt- und Nebenfiguren, Outtakes, Cliffhangern und mehr. Die junge Paula wohnt mit ihrer Mutter, einer Nebenfigur, zusammen, die ihr immer wieder versichert, dass sie das Zeug zu einer großen Hauptfigur hat. Schließlich sei ihr verstorbener Vater auch eine gewesen. Und so arbeitet Paula fleißig auf dieses Ziel hin und steht auch schon kurz vor ihrer Abschlussprüfung. Doch dann erfährt sie etwas über ihren Vater, das alles verändert.

Man mag kaum glauben, dass „The Ordinaries“ von Sophie Linnenbaum ein Filmhochschul-Abschlussfilm ist. So ideenreich, so ausgefeilt – so groß! Linnenbaum muss der Satz „Think big“ einige Male durch den Kopf gegangen sein, als sie an dem Film arbeitete. Und so sieht auch alles auf den ersten Blick sehr kostspielig aus. Es wurde aber versichert, dass der Film doch um einiges günstiger war, als es den Anschein haben mag, weil „alle wirklich Lust auf diesen Film“ hatten, versichert Produzentin Laura Klippel. Aber was kann „The Ordinaries“ noch, außer durch seine pompöse Ausstattung zu beeindrucken? Der Film ist voll von genialen Ideen. Anders als zum Beispiel bei „The Truman Show“, in dem ein Film im Film zu sehen ist, es also noch eine „normale Welt“ da draußen gibt, besteht die Welt in „The Ordinaries“ ausschließlich aus allem, was mit Film zu tun hat. Ist man eine Nebenfigur, so wirkt man eben eher blass und der Wortschatz besteht nur aus zwei bis drei Sätzen. Und dann gibt es da eben noch die Hauptfiguren und die Outtakes, zwischen denen schließlich ein Klassenkampf entbrennt. Denn ja, man findet hier eine Dreiklassengesellschaft aus Ober-, Mittel- und Unterschicht. Und auch Rassismus (gegenüber den Outtakes) ist ein großes Thema. Doch „The Ordinaries“ kann noch viel mehr. Er deckt zum Beispiel viele Genres ab: Musical, Science Fiction, Drama, Coming of Age … Man findet sicher noch einige mehr. Und das i-Tüpfelchen: Der Film ist voll von versteckten Filmzitaten. Allein dafür würde es sich schon lohnen, „The Ordinaries“ mindestens zweimal zu sehen. Wir werfen nur mal „Beeing John Malkovich“ und „Star Wars – A New Hope“ in den Ring. Man könnte direkt einen kleinen Wettbewerb daraus machen. Das zweite Screening, das für die die JVA geplant war, muss coronabedingt leider kurzfristig entfallen, aber es wird sich hoffentlich bald eine andere Gelegenheit auftun, um diesen Film (mindestens einmal) nachzuholen. Einziger kleiner Minuspunkt: Es gab ein paar Längen. 90 statt 120 Minuten hätten vermutlich auch gereicht. (ce)

Weltpremiere: Die Rache an der Welt (D, 2022)

Regie: Stefan Krohmer

Sehr zuverlässig beteiligt sich der NDR mit neuen Beiträgen aus der Reihe Tatort am Filmfest in Oldenburg. Nach drei Jahren Pause fand so wieder ein Tatort mit Maria Furtwängler seinen Weg auf die Leinwand des Casablanca. Hier geht es zur Kritik von Achim Neubauer: „Die Rache an der Welt“

Weltpremiere (Kurzfilm): „Do you see me?“ (Svn, 2022)

Regie: Jan Cvitkovič

Die Story:
Man sieht eine Frau, die aus dem Gefängnis entlassen wird. Während ihres erstens Ganges in Freiheit wird der Zuschauende Zeuge von verschiedenen Begegnungen und erfährt so nach und nach mehr über den Grund für die Haftstrafe.

Jan Cvitkovič gelingt es hier in 15 Minuten, fast nur durch Bilder eine ganze Geschichte zu erzählen. Beeindruckend ist dabei zum einen die Farbgestaltung: Der Film beginnt in Schwarz-Weiß und bekommt im Laufe der Handlung immer mehr Farbe. Der Bezug zum Titel: Je sichtbarer die Hauptfigur für uns wird, umso mehr Farbe kommt zum Einsatz. Außerdem ist das Sounddesign besonders hervorzuheben. Sei es das Klackern der Absatzschuhe, die die Hauptfigur trägt, oder die berührende durch Summen begleitete Abschlussszene – hier sagt der Sound mehr als es Worte tun könnten. (ce)

Deutsche Premiere: Zoo Lock Down (AUT, 2022)

Regie: Andreas Horvarth

Zweites Screening: Freitag, 16. September, 16.30 Uhr, Cine k / Studio

Die Story:
Andreas Horvath begab sich im Frühjahr 2020 zurzeit des pandemiebedingten Lockdowns in den Salzburger Zoo für seinen Dokumentarfilm. Nur mit Musik unterlegt und komplett ohne Kommentar auskommend, konzentriert sich der Film auf die Affen, Bären, Löwen und Krokodile, die ein Leben ohne Publikum bislang nicht kannten.

Andreas Horvath hält mit seiner Kamera in den zumeist bewegungslosen Einstellungen auf die Zootiere in ihren Gehegen. Ihm wurde von der Zooleitung immer ein fester Standort zugewiesen, von dem er in meist langen Einstellungen ihr Verhalten, aber auch ihre Blicke eingefangen hat. Regungslos ausharrend, auf Futtersuche oder ihre trockene Innengehege bei aufziehendem Gewitter suchend, fängt die Kamera die Tiere in ihrem fast menschenleeren Domizil ein. Verstörend wirken dabei einzelne Sequenzen. Er zeigt auch die Pflegerinnen und Pfleger bei der täglichen Arbeit, die in einzelnen Szenen schon leicht amüsant anmuten. So steigt zum Beispiel ein Tierpfleger nur in Badehose bekleidet, in das mit Piranhas besetzte Wasserbecken. Oder er zeigt zwei Tierärzte, die dem männlichen Nashorn für die Samenspende für eine künstliche Befruchtung zur Hand gehen.

Andreas Horvarth unterlegt seinen Film fast ununterbrochen mit einer kraftvollen, elektronischen Soundcollage, die nach seinen Worten nach Science Fiction klingen soll. Um die Einsamkeit und Tristesse der eingesperrten Tiere eindrucksvoller und beklemmender zu verdeutlichen, hätte weniger dieser lauten, scharfen Geräusche und Klänge dem Film auf jeden Fall besser getan. Bilder für sich sprechen lassen, ist manchmal mehr. Die Stille des Zoos ohne Publikum wird zum Ende des Films von lautem Stimmengewirr durchbrochen, als der Zoo wieder für Besucher öffnet. In diesem Moment zeigt „Zoo Lock Down“ seine eigentlich, wenn die Tiere plötzlich nervös agieren und ihre Ruhe gestört wird. Da kann man sich fragen, ob ein Zoo im Lockdown für die Tiere lebenswerter ist, denn die eingesperrten Tiere brauchen keine Zuschauer zum Überleben. Der Zoo braucht sie. (vs)

International Premiere (Kurzfilm): „Still is“ (JPN, 2021, Internationale Premiere)

Regie: Toshiyuki Ichihara

Die Story:
Ein normaler Morgen in einer japanischen Wohnung. Eine Mutter, die das Frühstück zubereitet, eine Tochter, die noch nicht ganz wach ist, ein Sohn, der eine Krawatte und einen Anzug sucht. Ein Vater, der die Nachrichten schaut.

In einer einzigen Kameraeinstellung ohne Bewegung, ohne Schnitt und ohne Musik zeigt der Regisseur den Morgen einer japanischen Familie in ihrem Esszimmer. Wie Routine mutet das teilweise skurrile Geschehen an, wenn die Zeitung gelesen oder das Mobiltelefon gesucht wird oder die wiederholt nach der Soja Sauce fragt. Der Vater bewegt sich schweigend wie unsichtbar durch den Raum und versorgt die Familienmitglieder mit den benötigten Utensilien. Sie fragen nach diesen Dingen aber nehmen sie wie selbstverständlich in ihre Hände als wären sie bereits da, wo der Vater sie hingelegt hat. Ist der Vater überhaupt existent? „Still is“ ist ein amüsanter kleiner Einblick in den Morgen einer Familie. Mit Vater oder ohne. Szenen, die zum Überlegen und Spekulieren anregen. Ein Film hat wieder sein Ziel erreicht.

Weltpremiere: Junk Space Berlin (D, 2022)

Regie: Juri Padel

Die Story:
In einem dystopischen Berlin von morgen tut sich ein Riss auf, der die Stadt in zwei Teile trennt. DJane Billie verschwindet in eben diesem Riss und drei Freundinnen machen sich im tatsächlichen und im virtuellen Raum auf die Suche nach ihr. Eine abenteuerliche Reise durch die Dimensionen beginnt.

Liest man, dass ein Riss durch unsere Hauptstadt geht, taucht direkt die Frage auf: Wie ist das gemeint? Und da gibt es hier auch keine klare Antwort, denn in „Junk Space Berlin“ ist dieser Riss sowohl sehr real als auch symbolisch gemeint. Denn Außenseitertum und auch Wohnungslosigkeit sind ein großes Thema in dem Film. Ebenfalls aufgegriffen wird auch ist die stillgelegte Clubszene während der Pandemie.
Die vielen Deutungsebenen, die der Film bietet, werden verstärkt durch die Vielfältigkeit der Stilelemente. Man fühlt sich hier an David Lynch erinnert – nicht nur durch die Bildgebung (man denke hier vor allem an „Lost Highway“), sondern auch durch die nicht lineare Erzählweise.
Besonders hervorzuheben ist außerdem die Dialoglastigkeit des Films, wobei dies durchaus positiv gemeint ist. Man merkt den Mono- und Dialogen an, dass das Team aus dem Theaterbereich kommt. Ein Zitat der „Obdachlosen“: „Die wahren Geheimnisse lassen sich nicht in Untersuchungsausschüssen aufklären. Die sind philosophisch!“ „Trainspotting meets Shakespeare“ steht im Programmheft – das trifft es ziemlich gut.

Kleiner Fun Fact noch am Schluss: Einer der beiden Kameramänner, Moritz von Dungern, ist gebürtiger Oldenburger. (ce)

Internationale Premiere: Alma Viva (FRA, 2022)

Regie: Cristèle Alves Meira

Zweites Screening: Sonntag, 19. September, 19 Uhr, theater hof/19

Die Story:

Ein kleines Dorf in den portugiesischen Bergen. Eine tote Großmutter. Und die Entdeckung ihrer übersinnlichen Fähigkeiten. Was als normale Sommerferien begonnen hat, wird für Salomé zu einer Reise in die Vergangenheit. Während ihre Verwandten die Beerdigung ihrer Großmutter planen, wird das Mädchen von ihrem Geist besucht. Ein beunruhigendes Vermächtnis, das Salomé vererbt wurde, denn die Großmutter galt im Dorf als Hexe. Eine Tatsache, die bei einigen Dorfbewohner als zutiefst abweisend betrachtet wird.

Die Regisseurin zeigt in ihrem starken Debutfilm ein einfaches Dorf in Portugals Bergen mit seiner Einwohnerschaft, die streng, zum Teil fanatisch, ihrem katholischen Glauben verhaftet ist. In der Trauer trifft eine Familie aufeinander, deren jedes einzelne Mitglied mit seiner unterschiedlichen persönlichen Vergangenheit und den damit verbundenen Vorurteilen zu kämpfen hat und um Verständnis statt Missgunst bittet. Allen voran steht Salomé (Lua Michel, 9 Jahre) als beeindruckend starkes und zugleich verletzliches junges Mädchen und die bedingungslose Liebe zu ihrer Großmutter.

Der Film (Premiere in Cannes 2022) schwankt gekonnt zwischen der Schilderung der Liebe zwischen Enkelin und Oma und dem damit verbundenen Drama um die verstörenden Folgen ihrer Spiritualität. Zugleich schwebt die Wehmut der portugiesischen Kultur über dem Film. Drastische und teils auch skurrile Szenen von Hass, Gewalt, Glauben und Mystik wechseln sich ab. So bewegt man sich beim gebannten Zuschauen auch zwischen Situationskomik, Beklemmung und Dramatik. (vs)

Internationale Premiere: Aberrance (MNG, 2022)

Regie: Baatar Batsukh

Zweites Screening: Samstag, 17. September, 21.30 Uhr, Cinek / Studio

Die Crew vom mongolischen Slash-Film „Aberrance“ mit Regisseur Baatar Batsukh (m.) stellte sich den Fragen des Publikums.

Die Crew vom mongolischen Slash-Film „Aberrance“ mit Regisseur Baatar Batsukh (m.) stellte sich den Fragen des Publikums.
Foto: Volker Schulze

Die Story:
Erkhmee and Selenge ziehen in eine Hütte in der mongolischen Wildnis, um sich von dem stressigen Leben in der Großstadt zu erholen. Ihre Ehe ist mit Problemen befrachtet. Selenge hat Panikattacken, während Erkhmee beim Versuch sich um sie zu kümmern, sein gewalttätiges Temperament nicht im Zaum halten kann. Als ein neugieriger Nachbar sich einmischen will, setzt er eine Kettenreaktion in Bewegung. Aus einem Drama über häusliche Gewalt wird eine schwindelerregende Spirale aus Angst, Bedrohung mit einem rabenschwarzen Finale.

Nichts ist wie es scheint. Wer ist gut und wer böse? Von der ersten Minute an, ahnt man, dass das neue Leben von Erkhmee und Selenge in dieser heimelig anmutenden Kulisse in dem großen, schlichten Haus abseits der Großstadt in den Wäldern der Mongolei kein gutes Ende nehmen kann. Aber wohin die Reise führt ahnt niemand. Erinnerungen an den Klassiker „Shining“ werden wach. Klischeees des Genre werden bedient und in der nächsten Minute über den Haufen geworfen.

Dass mit den beiden Hauptprotagonisten etwas nicht stimmt, liegt schnell auf der Hand. Die Begegnung mit dem alleinstehenden Nachbarn tut ihr Übriges dazu. Das Tempo des Films zieht zunehmend an. Die rasanten und überraschenden Kameraeinstellungen und Schnitte sorgen, gepaart mit dem ungewöhnlichen Farbspiel, für Gänsehaut, eine unaufhörliche Spannung und Schockmomente. Reichlich unerwartete Wendungen, führen das Publikum auf die falsche Fährte. Wem kann das Publikum trauen? Baatar Batasuna hat einen wunderbaren, spannenden und skurrilen Psyche-Horrorfilm geschaffen, der dem Genre mit seinem völlig überraschenden Finale eine besondere Note verleiht und mit allem bisher Gesehenen dieser Kunstart aufräumt.

Internationale Premiere: Sick (USA, 2022)

Regie: John Hyams

Ehrengast und US-Regisseur John Hyams (Foto) bekam am Freitag in der Lambertikirche Oldenburg gemeinsam mit seinem Vater Peter Hyams den German Independence Honory Award. Im Rahmen seiner Retrospective lief die Internationale Premiere seines Slasher-Films „Sick“.

Ehrengast und US-Regisseur John Hyams (Foto) bekam am Freitag in der Lambertikirche Oldenburg gemeinsam mit seinem Vater Peter Hyams den German Independence Honory Award. Im Rahmen seiner Retrospective lief die Internationale Premiere seines Slasher-Films „Sick“.
Foto: Volker Schulze

Die Story:
Im April 2020 befinden sich große Teile der Vereinigten Staaten im Lockdown. Also brechen die Studentin Parker und ihre Freundin Miri auf, um die Zeit der Quarantäne in einer abgelegenen Gegend an einem See in einem riesigen Ferienhaus zu verbringen. Doch schon in der ersten Nacht werden sie von einem maskierten Eindringling brutal attackiert. Eine Spirale der Gewalt nimmt ihren Lauf bis zum unerwartetem Ende.

Filmfest-Ehrengast John Hyams hat mit „Sick“ einen äußerst spannenden Slasher-Film geschaffen, der unwillkürlich an „Scream“ und „I Know What You Did Last Summer“ erinnert. Das überrascht nicht, denn deren Drehbuchautor Kevin Williamson ist auch hier einer der beiden Schreiber. So spielt dieser brutale Horrorstreifen mit den üblichen Schockmomenten, Kameraeinstellungen und Schnitten, die perfekt einen unaufhaltsamen Sog entfalten, dem man sich nicht entziehen kann und man körperlich mitleidet als wäre man direkt am Geschehen beteiligt.
Aber der Film ist auch mehr als nur der Versuch, die Pandemie und ihre Social-Distancing-Maßnahmen als idealen Hintergrund für diesen Slasher zu nutzen. In dem Strudel der zuerst unerklärlichen Gewalt lösen sich im letzten Drittel des Films die klaren Gegensätze von Gut und Böse, Opfer und Täter auf und sorgen für eine völlig überraschende und zugleich verwirrende Wendung. (vs)

Weltpremiere: The Black Guelph (IRE, 2022)

Regie: John Connors

Sehr emotional und zugleich amüsant war die Fragerunde mit der Filmcrew des bewegenden Films „The Black Guelph“ aus Irland, der beim Internationalen Filmfest Oldenburg Weltpremiere hatte.

Sehr emotional und zugleich amüsant war die Fragerunde mit der Filmcrew des bewegenden Films „The Black Guelph“ aus Irland, der beim Internationalen Filmfest Oldenburg Weltpremiere hatte.
Foto: Volker Schulze

Die Story;
Inspiriert von Dantes „Inferno“ schöpft John Connors aus dem wirklichen Leben, um dem historischen Stillschweigen über die Unterdrückung und den systematischen klerikalen sexuellen Missbrauch von Generationen der irischen Traveller eine Stimme zu geben. Er erzählt die Geschichte von Canto und seinen Jungs, die sich auf den Hauptstraßen von Dublin Tag für Tag mit oftmals kriminellen Methoden ihr Stück vom Leben erkämpfen.

Mit einer ungemeinen Wucht erzählt John Connors die schicksalshafte Geschichte von Canto, seinen Jungs und seiner jungen (zerbrochenen) Familie, die es gilt zu retten. Man taucht ein in eine rohe, unwirtliche Welt, die für die benachteiligten Menschen am Rande der Gesellschaft so real ist, wie es im heutigen Europa kaum denkbar ist. In dem tristen Alltag zwischen Arbeitslosigkeit, Alkohol, Drogen und Gewalt mischt sich in verstörenden Flashbacks der sexuelle Missbrauch der katholischen Kirche und gibt dem Film einen zusätzlichen Schub, der emotional aufwühlt. Die Geschichte des Films ist nicht neu erfunden, aber die Tatsache, dass die Story ein Irland von 2022 zeigt und auch in Deutschland die (Nicht-)Aufklärung der unfassbaren Taten der Mitglieder der katholischen Kirche für Fassungslosigkeit sorgt, machen „The Black Guelph“ zu einem großen, bewegenden Film. Allen voran Graham Early als Canto, der mit seiner Authenzitität die Leinwand elektrisiert. (vs)

Der Rote Berg (D, 2022)

Regie: Timo Müller

Die Story: Im Mittelpunkt steht eine rote Felswand in der Provinz Süddeutschlands und seine Bewohner. Wobei die Bewohner nicht direkt im Felsen wohnen, sondern in Zelten und direkt an die Felswand gebauten Hütten. Wir lernen einige dieser Menschen kennen, allen voran Volker, der sich für Thor hält. Als ein Mädchen aus der Nachbarschaft verschwindet, ist er sich sicher, dass sein Bruder Loki etwas damit zu tun hat.

Über zehn Jahre lang begleitet Regisseur Timo Müller den Felsenbewohner Volker und seine Nachbarn. Und auch wenn sich nach und nach ein Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Volker aufbaut, ist schnell klar: Der Zuschauer wird Volker nicht zu Gesicht bekommen. Wir hören ihn nicht einmal, denn seine Erzählungen werden von Müller neu eingesprochen. Als eine Gruppe Jugendlicher und ein verschwundenes Mädchen ins Spiel kommen, vermischen sich Dokumentation und Fiktion auf geschickte Art und Weise. (ce)

Deutschlandpremiere: Brutal Moods (ESP, 2022)

Regie: Marta Bisbal Torres

Die Story:
Die bildende Künstlerin Marta Torres hat aus ihrer Studie zum Brutalismus eine rauschhafte filmische Collage erschaffen. Von monumentalen und robusten Bauten, Symbolen der Herrschaft und Kontrolle, bis hin zu labyrinthischen Wohnblöcken in Randbezirken der Städte reicht das Spektrum in diesem Film. Unterschiedliche Formen der Architektur wirken als Mechanismen der Unterdrückung und Entfremdung. Der Brutalismus ist gewissermaßen die Summe aller schlechten Eigenschaften, die ein Lebensraum dem Menschen bieten kann. Er ist auch Stoff aus dem das dystopische Kino gemacht ist.

Als Künstlerin hat Marta Torres mit ihrem Film einen weiteren Teil von Kunst geschaffen, in die man viel rein interpretieren kann. In scheinbar beliebiger Reihenfolge zeigt sie Filmausschnitte von Filmen wie „A Clockwork Orange“, „Fahrenheit 451“, „Alphaville“ und auch „Ghost in the Shell“ und „Blade Runner“. Wie die Menschen in diesen Betonburgen gefangen sind und von ihnen dominiert werden, ist erschreckend zu sehen und öffnet zugleich die Augen, was wir mit unserem Leben anstellen und wie wir uns einsperren lassen. Die eigene Interpretation zu dieser filmischen Montage an Filmen ist gefragt, wie es so oft ist, wenn Kunst geschaffen und gezeigt wird. Ansonsten kann man sich in dem Film nur an alten Klassikern der Filmgeschichte mit ihren überdimensionalen, phantasievollen Bauten und Kulissen erfreuen. (vs)

Weltpremiere: Der Skorpion (GER 2022)

Regie: Romy Steyer

Die Story:
Dieter Wurm nennt sich Skorpion, seit ein Freund ihm im Heim dieses Tot bringende Wesen auf den Arm tätowierte. Nach einem halben Leben in Heimen und im Knast überfiel der Skorpion 2003 eine Bank und kaperte zur Flucht einen Bus mit 20 Insassen – es folgte eine der spektakulärsten Geiselnahmen Deutschlands, bei denen er von Scharfschützen mit zwei Schüssen in den Rücken niedergestreckt wurde. Er wurde zu elf Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. In dieser Zeit lernte Dieter, dass sich nur etwas ändern kann, wenn man es auch anspricht. Eine Reise in den Ort seiner Kindheit wird zur Konfrontation mit Erlebtem.

Romy Steyer ist ein einfühlsamer, offener und zugleich erschreckender Film gelungen, über einen Außenseiter, der seit seiner frühesten Kindheit keine Chance auf ein „normales“ Leben hatte. Die Stationen, die Dieter Wurm schildert, zeichnen einen Menschen, der häusliche Gewalt erlebte, in Heimen und im Gefängnis seine Kindheit und Jugend verbrachte und um den sich nie gekümmert wurde. Jetzt übernimmt er den Versuch, sein Leben zu reflektieren und auch Verantwortung für seine zahlreichen Straftaten zu übernehmen. Eine Reise in den Ort seiner Kindheit wird zur Konfrontation mit Erlebtem. Seine Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit wird in Telefonaten mit seiner drogenabhängigen Freundin im Krankenhausgefängnis deutlich. Die Schlichtheit seiner Sprache und Denkweise und die damit verbundene Reflektion auf sein kriminelles Tun im Leben erlauben streckenweise auch Lacher ohne über ihn zu lachen. Jetzt schreibt Dieter Wurm seine fiktive Biografie. (vs)

Deutschlandpremiere: Parsley (Dom, 2022)

Regie: José Maria Cabral

Die Schauspielerin Cyndie Lundy im Gespräch mit dem Kurzfilmjurymitglied Mattie Do bei der Vorstellung des Films Parsley im Casablanca Kino.

Die Schauspielerin Cyndie Lundy im Gespräch mit dem Kurzfilmjurymitglied Mattie Do bei der Vorstellung des Films Parsley im Casablanca Kino.
Foto: Anja Michaeli

Die Story:
Oktober 1937. Die hochschwangere Haitianerin Marie lebt mit ihrem dominikanischen Ehemann Frank an der Grenze zu Haiti, als der Diktator Trujillo die Hinrichtung aller Haitianer, die in der Dominikanischen Republik leben, anordnet. In der Nacht nach der Beerdigung ihrer Mutter beginnt das blutige Massaker an ihren Landsleuten, ihrer Familie, ihren Nachbarn. Das Wort Petersilie (spanisch: Perejil, englisch: Parsley) entscheidet über Leben und Tod, weil der Buchstabe „r“ in der kreolischen Sprache eine andere Aussprache hat. Marie flieht, kämpft ums Überleben. Sie hat nur einen Gedanken: Ihr Baby soll nicht in dieser Nacht zur Welt kommen. Der Film zeigt die ersten 24 Stunden ab dem Beginn des Genozids, dem Parsley-Massaker, bei dem mehr als 20.000 Menschen umgebracht wurden.

Marie (Cyndie Lundy) erlebt das Grauen eines beginnenden Völkermordes. Ihr Schreckensweg zieht die Zuschauer in ihren Bann. Es gibt kaum eine Szene in „Parsley“, in der Lundy nicht zu sehen ist. Die Kamera folgt ihr durch die Nacht, immer hautnah und intensiv. Die Schauspielerin liefert eine derart großartige Leistung ab, dass die kleinen Schwachstellen in der Filmstory nicht ins Gewicht fallen. Die Brutalität der Täter, die grausamen Gräueltaten – die Geschehnisse der Nacht spiegeln sich auf ihrem blutgetränkten Kleid wider. Schockmomente, Minuten der Atemlosigkeit, unvorstellbare Grausamkeiten.

Der Regisseur José Maria Cabral hat Lundy direkt nach ihrer Zusammenarbeit für einem früheren Film wieder besetzt. Er hat das Talent der jungen Frau erkannt, die den Film im Casablanca Kino während des Oldenburger Filmfestes präsentiert hat. Wohlverdient hat sie für ihre schauspielerische Leistung den Seymour Cassel Award für die beste Darstellerin erhalten. (Cabral konnte erst beim zweiten Screening anwesend sein. Wegen des Flugstreiks war er in Paris hängen geblieben.) (am)

Weltpremiere: Murmur (USA, 2022)

Regie: Mark Polish

Die Story:
Fünf Jugendliche um die 18 starten zu einem Ausflug in den Wald, um dort eine neue App mit dem Namen „Murmur“ zu testen, die auf Augmented Reality basiert: Beim Blick durchs eigene Handy oder durch eine AR-Brille sieht man bunte tierische Waldbewohner wie Schmetterlinge, Schlangen oder Hirsche und kann durch verschiedene Aufgaben Punkte sammeln und so das nächste Level erreichen. Doch die schillernde Fantasiewelt entwickelt sich zu einem Albtraum, der schnell erste Opfer fordert.

Der Gang in die Natur, um diese dann doch nur mit Blick durch die Handykamera zu sehen, dürfte einigen von uns bekannt vorkommen. Auch dass die Jugendlichen aus der Influencer-Szene kommen, für die nur Clicks, Likes und Views zählen, gibt dem Film eine aktuelle Brisanz. Besonders beklemmend wird es, als eine der Fünf bereits im Sterben liegend darum bittet, dass einer ihrer Freunde weiterhin die Kamera draufhalten solle anstatt ihr mit zwei freien Händen zu helfen. Passenderweise wird eben diese Figur von YouTube- und Nickelodeon-Star Megan Lee gespielt.

Aber auch sonst kann sich der Cast sehen lassen – allen voran Cyrus Arnold, der dem spannenden und zum Teil recht brutalen Film eine feine Prise Humor beisteuert.
„Murmur“ war ein Herzensprojekt für den Regisseur Mark Polish, dessen Tochter Logan in der Hauptrolle der Tiger zu sehen ist. Man hatte kein Geld und drehte den Film an nur neun Tagen und ausschließlich über Handykameras. Dies tut der Spannungskurve aber keinen Abbruch, im Gegenteil: Der Handy-Stil passt perfekt zur Story.

Ansonsten kommt der Film sehr im Stil typischer amerikanischer Teenie-Horror-Movies daher – nur eben mit modernem Bezug. (ce)

Deutschlandpremiere: A Woman (Frankreich 2022)

Regie: Jean-Paul Civeyrac

Die Story:
Polizistin und Autorin Juliane Verbeck deckt durch Zufall die Untreue ihres Mannes auf. Das Leben der sonst sehr fokussierten und abgeklärten Frau gerät innerhalb weniger Stunden aus den Fugen, als sie nach und nach erfährt, dass Hugo sie nicht nur schon seit Jahren betrügt, sondern auch noch in eine wenige Jahre zurückliegende Familientragödie verstrickt gewesen zu sein scheint. In Juliane beginnt es gefährlich zu brodeln und sie sinnt schließlich nur noch auf eines: Rache.

Man fragt sich schnell, was dieser Film wohl ursprünglich erzählen wollte. Irgendetwas läuft dann auch schon früh aus dem Ruder, als durch die Rettung einer Frau mit ihrer kleinen Tochter vor dem jähzornigen Ehemann plötzlich ein zweiter Erzählstrang aufgemacht wird, der viel zu lang ist, um (wie vermutlich gewollt) nur mal eben aufzuzeigen, dass aus der ursprünglich reservierten, klar denkenden Juliane in kürzester Zeite eine sehr emotional handelnde Frau wird, die vor nichts zurückzuschrecken scheint. Aber das ist nur ein Teil des Films, in dem man sich fragt: „Warum?“ Durch die Hauptdarstellerin Sophie Marceau wird „A Woman“ sicher einiges an Publikum anziehen. Aber man fragt sich, ob Marceau dem Skript wirklich genug Aufmerksamkeit schenkte, bevor sie sich dafür entschied, hier die Hauptrolle zu übernehmen. Vielleicht ahnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, welche fatale Rolle, die Filmmusik einnehmen würde, die völlig überzogen eine Dramaturgie aufzubauen versucht, die einfach nicht gegeben ist und die Zuschauenden durchaus schon mal schmunzeln lässt. Sieht man sich in der Welt der Ehebruch-Filme um, gab es da schon deutlich bessere. (ce)

Internationale Premiere: The Prank (USA, 2022)

Regie: Maureen Bharoocha

Die Story:
Ben (Connor Calopsis) ist ein ehrgeiziger Schüler, denn er braucht ein Stipendium, um weiterzukommen. Sein Vorhaben könnte an der Physiklehrerin Mrs. Wheeler (Rita Moreno) scheitern. Sie droht damit, die gesamte Klasse durchfallen zu lassen, weil jemand bei der Zwischenprüfung geschummelt hat. Seine Freundin Tanner (Ramona Young) glaubt, das Problem lösen zu können. Aber die beiden haben nicht mit der Physiklehrerin gerechnet. Jetzt nimmt die Geschichte eine Höllenfahrt auf.

Es ist der zweite Film der Regisseurin Maureen Bharoocha, die ihr Werk in Oldenburg als einen Highschool-Hitchcock-Comedy-Thriller vorstellt. Und dem ist kaum was hinzuzufügen. Außer natürlich, dass die 89-jährige Kinolegende Rita Moreno die beste böse Physiklehrerin aller Zeiten darstellt. „Es war großartig, mit ihr zu arbeiten“, betont Bharoocha, die auch ihre eigenen Highschool-Erfahrungen in den Film eingebracht habe. Die rasante Geschichte macht Spaß, ändert mehrfach die Fahrtrichtung mit gruseligen Überraschungen, überzeugt durch witzige Dialoge und Musik, die passend und auf den Punkt genau eingesetzt wird. Schlussendlich werden die Lachmuskeln noch einmal durch die Outtakes gereizt und ein letzter ungeahnter Schocker trifft auf das Publikum. Ein Hinweis darauf, dass es eine Fortsetzung geben könnte. Dieser Film hat das Potential ein großes Publikum für sich zu gewinnen. In Oldenburg hat er jedenfalls die Zuschauer im Cine k Studio begeistert. (am)

Weltpremiere Kurzfilm: Draught (USA 2022)

Regie: Weston Terray

Die Story:
Eine Szene zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eine junge Frau arbeitet am späten Abend allein in einer kleinen Bank und schläft schließlich auf einem Sessel ein, nachdem sie einige Tabletten geschluckt hat. Nachdem man vorher immer wieder Sand in einer Sanduhr gesehen hat, rieselt dieser nun in großen Mengen aus ihrem Mund und überschüttet schließlich nach und nach die ganze Szene.

Der Sinn mag sich einem kaum erschließen. Ein Foto auf dem Tisch lässt vermuten, dass diese Frau eventuell ihren Mann verloren hat und der Sand für die Zeit steht, die ja bekanntlich alle Wunden heilen soll. Das Besondere an dem Film ist allerdings seine Machart. Hier wird Realfilm mit Animation und Stop Motion geschickt miteinander verwoben. Besonders beeindruckend: der Blick aus dem Bürofenster auf die leeren Straßen und die um die Ecke fahrende Miniatur-Straßenbahn. Allein dafür lohnt sich der Film. (ce)

Europapremiere: The Gravity (Frankreich 2022)

Regie: Cédric Ido

Die Story:
Der Welt steht ein einmaliges Ereignis bevor: Alle acht Planeten des Sonnensystems werden in einer Reihe stehen. Niemand weiß, was dies für Konsequenzen für die Gravitation haben wird. In den Tagen davor färbt sich der Himmel bereits rot und man sieht die Planeten auch tagsüber deutlich am Himmel. In einem Arbeiterviertel von Paris versuchen derweil zwei mit Drogen dealende Brüder sich vor einer Gruppe durchgeknallter Jugendlicher in Sicherheit zu bringen, die sich die „Ronin“ nennen und dem großen Moment der Reihung der Planeten entgegenfiebern.

Regisseur Cédric Ido gelingt es, das Bild eines überwältigend dystopischen Paris zu schaffen – zum einen durch das Elend des Viertels mit dem Verfall und dem Dreck, zum anderen durch die Weltuntergangsstimmung kurz vor der Reihung der Planeten. Das Einweben von Daniels und Joshuas Vergangenheit zusammen mit Daniels Ausbruchsversuch aus all der Armut gibt dem Film zudem zwei weitere Ebenen, die das Stimmungsbild in dieser besonderen futuristischen Endzeitatmosphäre abrunden. Der Cast ist bis in die kleinste „Ronin“-Nebenrolle perfekt. Ein Gesamtkunstwerk. (ce)

Deutschlandpremiere: Paradise Highway (USA, 2022)

Regie: Anna Gutto

Die Story:
Die Lastwagenfahrerin Sally soll für ihren geliebten Bruder, der im Knast sitzt, einen Auftrag erledigen. Das Päckchen, das sie erwartet, besteht dieses Mal nicht aus Drogen oder Waffen, sondern ein junges Mädchen. Es soll über die Grenze geschmuggelt werden. Der geplante Kinderhandel nimmt ein jähes Ende, als sich das Kind wehrt. Sally und das Mädchen Leila flüchten vor den Tätern und der Polizei. Eine gefährliche Trucker-Tour beginnt.

Sally – hervorragend gespielt von Juliette Binoche – ist eine raubeinige Trucker-Fahrerin mit Herz, die ihren Bruder (Frank Grillo) über alles liebt. Die Rolle von Sally mit Binoche zu besetzen, war ein grandioser Schachzug der Autorin und Regisseurin Anna Gutto. Und auch von Hala Finley (Leila) wird das Kinopublikum in den nächsten Jahren sicher noch einige Filme zu sehen bekommen. Morgan Freeman als ehemaligen FBI-Mann Gerick zu besetzen, brachte der Filmemacherin nicht nur einen großen Namen, sondern auch eine weitere gute Leistung an Bord. Freeman zur Seite steht Cameron Monaghan (bekannt aus der Serie Shameless), der sich nicht verstecken muss. Christiane Seidel aus Oldenburg und Veronica Ferres runden den Cast ab.

Die Kritik hat den Film weitgehend verrissen. Zu dünn die Geschichte, zu gequält die Dialoge, zu unglaubwürdig. Tatsächlich ist die Verwandlung des traumatisierten Kindes in ein glückliches Mädchen fragwürdig. Ganz großes Kino ist „Paradise Highway“ sicher nicht. Aber er ist unterhaltend, ist spannend und hat Überraschungsmomente. Eben Popcorn-Kino und durchaus einen Besuch wert.

Der Thriller über Kinderhandel wurde zur Closing Night im Oldenburgischen Staatstheater gezeigt. Zur Vorstellung war die Regisseurin Anna Gutto angereist. Ab September kommt „Paradise Highway“ in die Kinos.

Das 29. Internationale Filmfest Oldenburg ist beendet

Fünf Tage standen Filme der Independent Szene in Oldenburg auf dem Programm. Während die Zuschauerzahl um etwa 20 Prozent auf insgesamt 9.000 Zuschauer in den Festivalkinos, der Kongresshalle der Weser-Ems-Hallen, der Lambertikirche und dem Oldenburgischen Staatstheater stieg, ist ein im Verhältnis vergleichbarer Rückgang der Zuschauer bei den Digitalscreenings zu beobachten gewesen. „Diese Tendenz ist ein weiterer Beleg dafür, dass das Publikum sich nach real stattfindender Kultur sehnt und das Festival nicht durch digitale Angebote ersetzbar ist“, so Filmfestdirektor Torsten Neumann. Mit der Closing Night Gala im Staatstheater Oldenburg, dem Abschlussfilm „Paradise Highway“ von Anna Gutto und der Bekanntgabe der Preisträger ging das Festival gestern feierlich zu Ende.

Festivalleiter Torsten Neumann begrüßt …
Foto: Anja Michaeli

… die Gäste der Closing Night im Oldenburgischen Staatstheater.
Foto: Anja Michaeli

Der German Independence Award für den besten Kurzfilm wurde für „Jockstrap Jesus“ von Samuel Bereuther vergeben.
Foto: Anja Michaeli

Darkhan Tulegenov erhielt für „Brothers“ den Spirit of Cinema Award.
Foto: Anja Michaeli4

Die Freude über die Ehrungen war zu spüren.
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Das Advisory Board ehrte zudem den Film Aberrance von Baatar Batsukh mit dem Audacity Award.
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Der Seymour Cassel Award für die beste Darstellerin ging in diesem Jahr an Cyndie Lundy für die Hauptrolle in „Parsley“.
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Weinend ringt die überwältigte Cyndie Lundy auf der Bühne nach Worten.
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Der Seymour Cassel Award für den besten Darsteller ging an Graham Earley in „The Black Guelph“.
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Der Hauptpreis, der German Independence Award für den besten Film in der Independent-Reihe des Filmfests, ging an „The Black Guelph“ von John Connors.
Foto: Anja Michaeli

Die Kurzfilmjury, bestehend aus der laotischen Filmemacherin Mattie Do, Mirna Campanella, italienische Historikerin und Museumsfachfrau und dem britischen Filmemacher Simon Rumley, vergab den German Independence Award für den Besten Kurzfilm an „Jockstrap Jesus“ von Samuel Bereuther. Eine lobende Erwähnung sprach die Jury für »The Sound of Dreaming« von Kalani Gacon aus.

Der Seymour Cassel Award für die besten Darsteller ging in diesem Jahr an Cyndie Lundy für die Hauptrolle in „Parsley“ sowie an Graham Earley in „The Black Guelph“.

Das Advisory Board ehrte zudem den Film „Aberrance“ von Baatar Batsukh mit dem Audacity Award.

Der Spirit of Cinema Award wurde an den Film „Brothers“ von Darkhan Tulegenov verliehen. Eine lobende Erwähnung gab es für den Film „Our Father, The Devil“ von Ellie Foumbi.

Der Hauptpreis, der German Independence Award für den besten Film in der Independent-Reihe des Filmfests, ging an „The Black Guelph“ von John Connors.

Zu fortgeschrittener Stunde haben wir nach der Closing Night des 29. Internationalen Filmfestes Oldenburg den Festivalleiter Torsten Neumann interviewt. Es ist wie immer ein besonderes Gespräch gewesen, dass nach fünf Tagen mit wenig Schlaf, viel Arbeit und einer großen Menge an Veranstaltungen alle Beteiligten an ihre Grenzen gebracht hat. „Quick and dirty“ haben wir das Interview nur mit dem Smartphone im Restaurant Schillers aufgezeichnet. Wir danken für das Gespräch.

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1 Kommentar

  1. W. Lorenzen-Pranger
    19. September 2022 um 15.14 — Antworten

    „…dieses Tot bringende Wesen…“

    Autsch!

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