Filmfest Oldenburg: Frei wie ein Vogel
Oldenburg (Lisa-Marie Ramlow) Im Rahmen der Pressekonferenz zum Internationalen Filmfest Oldenburg wird traditionell der neue Trailer vorgestellt. In diesem Jahr handelt es sich um ein kleines aber feines Werk, das viele Metaphern beinhaltet. Filmfest-Leiter Torsten Neumann und die Schauspielerin Deborah Kara Unger haben bei „Le Canarï“ Regie geführt.
Anzeige
Der Trailer erzählt eine kurze, aber prägnante Geschichte: Ein Mann im Anzug liegt in einem tristen Zimmer rauchend auf dem Bett. Er scheint in seiner eigenen Gedankenwelt zu sein, bemerkt aber den Kanarienvogel in einem antiken Käfig in der Mitte des Raumes. Schweigend drückt er seine Zigarette aus, steht auf und betrachtet das gelbe Federvieh. Dann öffnet er hilfsbereit dem Vogel die Käfigtür und geht, während der Gelbe davonfliegt.
Protagonist des Trailers ist Torsten Neumann, der jedes Jahr Hommagen an ausgewählte Filmklassiker konzeptioniert. Mit der Machart des aktuellen Trailers huldigt er nun dem französischen Kinoklassiker „Der eiskalte Engel“ („Le Samouraï“) aus dem Jahre 1967 von Jean Pierre Melville. Hier ist die berühmte Eröffnungsszene des Kriminalthrillers quasi nachgestellt worden. Allerdings wird der Dompfaff im Originalstreifen mit emotionaler Kälte missachtet und bleibt eingesperrt, während im Filmfest-Trailer empathisch gehandelt wird. Neumann betont die Bedeutung der neu ausgewählten Vogelart, denn „der Kanarienvogel ist Symbol des Programms der diesjährigen Veranstaltung“. Er sei damals im Bergbau als Warnvogel vor Sauerstoffmangel und Kohlenmonoxidvergiftungen eingesetzt worden. So benimmt sich das Tier im Trailer sehr ruhig und zwitschert wenig, was in der Realität auf jene Gefahren hinweisen würde. Im übertragenen Sinne seien Künstler die Warnvögel unserer Gesellschaft, die bei schleichenden Bedrohungen mit ihren Werken Alarm schlagen.
Der Trailer lässt durch seine metaphorische Bildsprache zu dem Song „You Don’t Own Me“ von Lesley Gore Interpretationen zur Freiheit, aber auch zur Alleinstellung von unabhängigen Cineasten zu. Unterstrichen wird dies von dem Zitat: „Es gibt keine größere Einsamkeit, als die des Independent-Filmemachers, es sei denn die eines Festivalmachers in Oldenburg …“. Die Abgeschiedenheit vom Mainstream rege in Zeiten des Streamings immer wieder zu Diskussionen an. „Wir sind wie eine Tür zwischen Genre- und Arthouse-Festivals“, sagt Neumann über die Besonderheiten seines Programms. Das Independent-Kino sei gerade sehr spannend und gehe neue narrative Wege. „Wir wollen auch Filme zeigen, die nicht konform sind, sondern eher anecken und polarisieren.“ Dieser Wagemut soll auf dem kommenden Filmfest das erste Mal mit einem neuen Preis namens „Audacity Award“ belohnt werden.
Der aktuelle Trailer zeigt sich kühn in einem neuen Gewand; zwar ohne Gags rund um den Standort Oldenburg, aber mit einem interessanten Ausblick auf die Zukunft des Filmemachens. Mit freien Gedanken.
„Le Canarï“, 2019, Oldenburg
Regie: Deborah Kara Unger, Torsten Neumann
Kamera: Irina Dragojevic
Schnitt: Tom Bewilogua
Produktion: Schwarzseher Film, Kinematograph 24/7, Berliner Synchron, trickWILK, Oldenburgisches Staatstheater, Peter Wendeln
Keine Kommentare bisher