Die NS-Zeit an der Cäcilienschule
Oldenburg (zb) Seit vielen Jahren wird in Oldenburg der Erinnerungsgang veranstaltet, um damit an den 10. November 1938 zu erinnern. Damals wurden jüdische Männer von den Nazis gezwungen, durch Oldenburgs Innenstadt zum Gefängnis zu gehen, wo sie eingesperrt und kurz darauf in Konzentrationslager gebracht wurden. Viele von ihnen starben, einige kehrten zurück und emigrierten, um sich vor einem weiteren Zugriff der Nazis zu schützen.
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Im vergangenen Jahr haben die Schüler der Cäcilienschule den Erinnerungsgang ausgerichtet. Da stellten sie sich die Frage, wie hat sich die Machtergreifung der Nazis auf den Unterricht ausgewirkt, wie hat sich das Lehrerkollegium verhalten, gab es jüdische Schülerinnen und was ist aus ihnen geworden? Also machten sich die Schüler der einstigen Mädchenschule an die Aufarbeitung ihrer Schulgeschichte und erhielten durch die Deutsch-, Geschichts- und Religionslehrerin Ina Maria Goldbach maßgebliche Unterstützung. Sie interessierte sich schon länger für die Schulgeschichte, forschte stundenlang im Staatsarchiv, wurde fündig und schrieb parallel zu den Schüleraktivitäten das Buch „Die Zeit des Nationalsozialismus an der Cäcilienschule“, das jetzt im Oldenburger Isensee erschienen ist.
„Ich entdeckte mehrere völlig unberührte Akten, fand einiges über die Schülerinnen und insbesondere die jüdischen Schülerinnen heraus, sah Entnazifizierungsakten ein und war beeindruckt von den Fotos. Fünf Porträts sind von den einstigen zehn jüdischen Mädchen erhalten“, berichtet Ina Maria Goldmann. Andere Schülerinnen ließen sich mit nationalsozialistischen Abzeichen fotografieren, und schließlich entdeckte sie Fotos vom Schulgebäude, das von Bomben getroffen und schwer beschädigt war.
Parallel zu ihren Recherchen entwickelten die Schüler eine Ausstellung im Foyer der Schule. Darin befassten sie sich mit der Cäcilienschule in der Nazizeit und mussten feststellen, dass in ihrer Schule seit 1933 ein nationalsozialistischer Wind wehte. Plötzlich stand das Fach „Rassenkunde“ auf dem Stundenplan. Auch sonst war der Schulstoff durchdrungen von der Hitler-Ideologie.
Die 39-jährige Lehrerin begann, sich für das Schicksal der zehn jüdischen Schülerinnen zu interessieren, versuchte, ihre Wege zu verfolgen und weckte damit auch das große Interesse ihrer Schüler, die sich solche Zustände heute kaum vorstellen können. Unter ihnen befanden sich auch die Töchter des Landesrabbiners Dr. Philipp de Haas und der Kaufmannsfamilien Alex Goldschmidt und Ernst Löwenstein. „Sie haben die ganze Bandbreite des Holocaust erlebt“, berichtet Goldbach. „Zwei von ihnen haben den Holocaust nicht überlebt, sie starben mit 21 Jahren, bei den anderen acht führen die Spuren bis über die Grenzen Europas und verlieren sich schließlich.“
Einige ehemalige Schülerinnen, die die Autorin ausfindig machen konnte, erinnerten sich an die Reichspogromnacht, an dem normaler Unterricht stattfand. Brandgeruch habe in der Luft gelegen. Eine Betroffene zog an jenem Tag mit ihrer Familie in das Haus, in dem zuvor eine jüdische Familie wohnte, und konnte besonders nachvollziehen, was den Bewohnern widerfahren war.
Jede Unterrichtsstunde begann mit dem Deutschen Gruß, Bilder des Führers wurden aufgehängt, die Schule mit Hakenkreuzen geschmückt, es gab Flaggenparaden zu Beginn und am Ende des Schuljahres, und immer mehr Lehrer trugen Parteiabzeichen „und setzten bewusst in ihrer Rolle als Vorbild politische Signale in der Öffentlichkeit und auch den Schülern gegenüber. Von einer bewussten und öffentlichen Distanzierung vom NS-Regime kann keine Rede sein“, stellt Ina Maria Goldbach klar.
Sie weist aber auch darauf hin, wie hoch der politische Druck auf jene war, die dem NS-Regime nicht folgen wollten, was aus offiziellen Schreiben aus dem zuständigen Ministerium hervorgeht. So wurde Lehrkräften der Eintritt nicht nur in den NSDAP Lehrerbund sondern auch in die Partei und weitere NS-Organisationen nahegelegt, fand die Autorin heraus. Sie sollten die neue Weltanschauung an ihre Schüler weitergeben. Ansonsten wurde zu einer anderen Betätigung geraten. Wer zögerte oder sich weigerte, spürte die ganze Härte des Systems, wie ihre Recherche belegt.
„Kein Buch fürs Regal, sondern für den praktischen Gebrauch im Schulunterricht“, sagt der heutige Schulleiter der Cäcilienschule Franz Held. „Es soll als wichtige Quelle für den Unterricht genutzt und Schüler angeregt werden, weiter zu recherchieren, sich bewusst mit Geschichte zu befassen.“ Vor allem aber macht das Buch Geschichte konkret. Sie hat sich vor Ort in ihrer Schule zugetragen, weshalb sich die Schüler heute dafür interessieren.
So plant die Schule am 14. März eine Lesung mit Sally Perel aus seinem Buch „Ich war Hitlerjunge Salomon“. Außerdem soll der jüdischen Mädchen gedacht werden – vielleicht in Form einer Erinnerungstafel. Ina Maria Goldbach ist überzeugt davon, dass die Cäcilienschule keinen Einzelfall darstellt, sondern exemplarisch für die damalige Zeit ist.
Das Buch (ISBN 978-3-89995-953-6) ist im Buchhandel erhältlich.
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