Innenstadt

50 Jahre Fußgängerzone: Die zweite Seite der Medaille

1967 wurde der Oldenburger Pferdemarkt umgebaut.

Umbau des Verkehrsknotenpunktes Pferdemarkt 1967.
Foto: Archiv Werkstattfilm

Oldenburg (am) Die Einrichtung einer autofreien Zone in einer Innenstadt – wie in Oldenburg 1967 – benötigt mehr als die Proklamation einer Fußgängerzone. Zahlreiche Umbaumaßnahmen, Abrisse oder Straßenneubauten waren notwenig, bevor die erste flächendeckende Fußgängerzone Deutschlands vor 50 Jahren eröffnet werden konnte. Mit „Von der Markthalle zur Mall – Wandel der Einkaufswelt“ widmet Werkstattfilm dem Jubiläum eine eigene Ausstellung, die die massiven baulichen Veränderungen anhand von über 50 zeitgenössischen Fotografien dokumentiert. Filme, Open-Air-Kino, Buchvorstellung, Führungen und Vorträge umrahmen die Präsentation.

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Oldenburgs Innenstadt im Wandel

Die engen, mittelalterlichen Straßen in Oldenburgs Innenstadt waren auf den sich schnell entwickelnden Fahrzeugverkehr vor 50 Jahren nicht vorbereitet. Fußgänger, Radfahrer, Autos, Busse und der Lieferverkehr sorgten für teilweise chaotische Verhältnisse – insbesondere während der Haupteinkaufszeiten. Es gab keine Stadtumgehung, wie die Oldenburger sie heute kennen. Beispielsweise ging man vom Am Damm aus über den Schlossplatz in die Stadt – den Schlosswall gab es in den 50er Jahren noch nicht.

Um die Stadt „zukunftsfest“ und autogerecht zu machen, wurde damals der Bau einer Ringstraße um die Altstadt geplant. Durch den Aus- und Neubau von Straßen gingen Teile des alten Stadtbildes verloren. Als erste Baumaßnahme wurde der Paradewall gebaut. 130 über 200 Jahre alte Linden, die den damaligen Flanierweg säumten, mussten zum Großteil weichen. Das kam überraschend für die Bürger und wurde ohne große Diskussion kurz vor Weihnachten vom Rat beschlossen. Man habe von Schildbürgerstreich und der Vergewaltigung des Paradewalls gesprochen, weiß Sigrid Osterloh, die die Ausstellung zusammen mit anderen Ehrenamtlichen zusammengestellt hat. Es hagelte Proteste.

Ausbauplan des Rings um die Oldenburger Altstadt (1950 bis 1967).

Ausbauplan des Rings um die Altstadt (1950 bis 1967).
Foto: Archiv Werkstattfilm

Im Laufe der Zeit wurden alte Wasserläufe überbaut, verlegt oder zugeschüttet und Grünflächen oder Gärten verkleinert oder abgerissen. Stadtgeschichtlich bedeutsame Bauwerke wie beispielsweise der Handelshof an der Staulinie oder 1963 der Küchenflügel des Elisabeth-Anna-Palais am heutigen Schlosswall (Sozialgericht) und die unterirdische Verbindung zum Pulverturm (der Eiskeller) fielen den Planungen zum Opfer. Rund um die Mühlenstraße und der (damals so genannten) Häusingstraße wurde die Bebauung (1958) abgerissen. Das Kavaliershaus an der ehemaligen Schloßfreiheit am Schlossplatz, das Hoffinanzgebäude von 1741 und der Marstall mussten in den 1950er Jahren ebenfalls weichen. „Man hatte nicht das Gespür für alte historische Häuser und es standen weniger Gebäude unter Denkmalschutz als heute“, erklärt Osterloh den Zeitgeist. Auf den freigewordenen Flächen entstanden neue Geschäfts- und Bürogebäude oder Parkhäuser. Zum autogerechten Ausbau der Verkehrswege gehörte auch die Bahnhochlegung am Pferdemarkt, zuvor verbrachten die Oldenburger viel Zeit vor geschlossenen Schranken.

Ausstellung „Von der Markthalle zur Mall – Wandel der Einkaufswelt“

Bis zu 20 Leuten sind seit Anfang 2016 an den Vorbereitung zur Ausstellung beteiligt gewesen. Ziel ist es, die Entwicklung der Innenstadt in der Vergangenheit und der Gegenwart zu thematisieren. „Die Diskussionen über den Wandel halten bis heute an“, sagt Werkstattfilm-Leiter Farschid Ali Zahedi und betont die Aktualität. In der ursprünglichen Planung wollte Zahedi riesige Bilder in der Innenstadt aufstellen – für einen direkten Vergleich von gestern und heute. Leider habe die Stadtverwaltung die Genehmigung dafür von einer Zusammenarbeit mit dem City Management Oldenburg abhängig gemacht. Die habe sich nicht wie vorgestellt entwickelt. „Sechs Monate Arbeit umsonst“, ist Zahedi genervt. „Das hätte besser laufen können.“ Die Innenstadt müsse mehr Platz für Bildung, Kunst und Kultur bieten und sich nicht nur am Konsum orientieren, fordert er nachdrücklich.

Die Ausstellung, das Buch und Rahmenprogramm wurden mit Fördermitteln der Stadt Oldenburg, der Landessparkasse zu Oldenburg (LzO) und Eigenmitteln finanziert. Die Ausstellung kann samstags und sonntags zwischen 14 und 18 Uhr besichtigt werden. Der Eintritt kostet 2 Euro.

Eröffnung

Die Ausstellung „Von der Markthalle zur Mall – Wandel der Einkaufswelt“ wird am 6. August um 11 Uhr feierlich eröffnet. An diesem Tag steht ein historischen NDR-Radio-Übertragungswagen für Besichtigungen vor den Räumlichkeiten von Werkstattfilm, KinOLaden, Wallstraße 24 zur Verfügung. Der Wagen wurde liebevoll restauriert und wird nun das erste Mal der Öffentlichkeit präsentiert.

Rahmenprogramm

Im Rahmenprogramm werden fünf geführte Rundgänge mit Filmvorführung und drei Stadtrundfahrten in einem historischen Bus (13. August / 3. September / 8. Oktober, jeweils 15 Uhr) angeboten. In einer Filmreihe werden sieben teils internationale Dokumentation zum Thema Stadtwandel gezeigt (Eintritt: 8 Euro / 5 Euro ermäßigt). Damit beschäftigen sich auch fünf Referenten (Autor Daniel Fuhrhop, Baudezernentin Gabriele Nießen, Filmemacherin Samira Fansa, Soziologe Walter Siebel und Sozialwissenschaftler Dr. Norbert Gestring), die mit ihren Vorträgen Diskussionen anregen möchten. Roland Neidhardt, Sohn des damaligen Baudezernenten Horst Neidhardt, moderiert die Abende. Am 11. August feiert Werkstattfilm zudem mit einer eigenen Filmproduktion „Schau her! 50 Jahre Oldenburger Fußgängerzone“ die Premiere.

Open-Air-Kino

Filmvorführungen an ungewöhnlichen Orten (Innenhof Munderloh, Lambertihof) stehen ebenfalls auf dem Programm. An allen vier Abenden präsentiert Werkstattfilm seinen neuen Film, der die mit der Errichtung der Fußgängerzone einhergehenden baulichen Veränderungen dokumentiert und anhand von aktuellem Filmmaterial auch die langfristigen Auswirkungen darstellt. Die Lokalitäten sind nicht zufällig gewählt: So stand am Ort des Lambertihofs früher die Markthalle, in der im Dezember 1896 die erste Filmvorführung überhaupt in Oldenburg stattgefunden hatte. Die Oldenburger konnten damals, nur ein Jahr nach der ersten Filmvorführung der Gebrüder Lumière, den „Einzug des Zaren in Paris“ bewundern. Im Haus des Fahrradgeschäfts Munderloh wurde 1909 zudem das „Metropol-Theater“, das erste ortsfeste Kino Oldenburgs, eröffnet. Termine: 11. und 12. August bei Munderloh ab 20 Uhr, 3. und 4 November im Lambertihof ab 19 Uhr. Der Eintritt kostet 10 Euro (7 Euro ermäßigt).

Kartenreservierungen für die Filmreihe und das Open-Air-Kino sowie Führungen und Stadtrundfahrten können telefonisch unter 04 41 / 121 80 oder per Mail an info@werkstattfilm.de vorgenommen werden. Mehr Informationen gibt es unter www.werkstattfilm.de.

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1 Kommentar

  1. W. Lorenzen-Pranger
    29. Juli 2017 um 9.07 — Antworten

    Zitat: „Die Innenstadt müsse mehr Platz für Bildung, Kunst und Kultur bieten und sich nicht nur am Konsum orientieren, fordert er nachdrücklich.“
    Ich würde einen Schritt weiter gehen, die Innenstadt würde von solchen Aktivitäten und Ausstellungen profitieren Ich wäre nie nach Münster gefahren, hätte es dort nicht genau eine solche Ausstellung neuer Kunst über den Ort verteilt gegeben. Ich war aber dort und es hat sich für beide gelohnt. Ich habe eine gut gmachte Ausstellung (und die Stadt) gesehen – und die Münsteraner hatten den Umsatz in Gastronomie und Einzelhandel.
    Das kann doch auch für Oldenburger nicht so schwer nachvollziehbar sein, oder? (Na ja, neben mir saßen in einer Veranstaltung in OL zu dem Thema zwei ausgemachte Flaschen, die über durchgehend störendes Dummschwätzen über teure Autos nicht hinauskamen. Etwas Schwund ist eben überall… )

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