Kommentar: In die Innenstadt muss Leben
Oldenburg (Michael Exner) Die Stadtverwaltung will die Gebühren für die Außengastronomie während der Freiluftsaison (April bis Oktober) auf die Hälfte senken. Das kostet 35.000 Euro und ist sicher gut investiertes Geld. Die CDU möchte die Gebühren gleich ganz streichen – und vor dem Hintergrund der noch immer vergleichsweise soliden Haushaltslage sollte der Rat diesem Vorschlag folgen.
Anzeige
Das ist für sich betrachtet gut und schön. Aber das ist nicht das Ziel, es ist nicht mal der Weg zum Ziel, es könnte allerdings ein Weg-Weiser sein in eine Strategie zur Rettung der Innenstadt. Denn um die geht es vor allem (auch wenn andernorts gleichfalls draußen gegessen und getrunken wird). Handel, Dienstleistungen und Gastronomie der City brauchen Hilfe, wenn sie Corona überleben sollen.
Das hat natürlich mit Geld zu tun; fragt sich nur, wie man es einsetzt. Ein Stuhl, auf dem niemand sitzt, nützt dem Wirt auch dann nichts, wenn er dafür keine Gebühren zahlen muss. Das ist wie auf Bundesebene mit den Geisterdiskussionen um eine reduzierte Mehrwertsteuer. Das ist eine Umsatzsteuer – und wer als Unternehmer keine Umsätze macht, zahlt keine Steuern, egal wie niedrig die Sätze sind. Er wird dann allerdings auch bald den Laden schließen.
Was die Innenstadt zum Überleben braucht ist Leben. Das gehört wieder in die City, und dazu muss man den Leuten einen Grund geben, dorthin zu kommen. Einkaufen allein wird das nicht leisten. Das können die Menschen auch von zu Hause, das haben sie in der Pandemie gelernt, Kochen vermutlich auch. Was die Innenstadt in erster Linie bieten muss, ist Aufenthaltsqualität – ein sprödes Wort für eine lebenswichtige Blutzufuhr.
Für die Bausteine eines solchen Konzeptes kann man den traditionellen Eventkalender als Steinbruch benutzen: Weihnachtsmarkt, Stadtfest, Kultursommer und die (leider) fast schon in Vergessenheit geratene Promenade. Schon im vergangenen Jahr hatte die Verwaltung als Ersatz für den gestrichenen Lambertimarkt in der Innenstadt einzelne Schaustellerstände genehmigt. Der Einfall ruft nach Wiederholung. Vom Stadtfest ließe sich die Idee kleiner Konzerte kopieren. Bar-Celona-Chef Irmin Burdekat (dessen Leistungen für Oldenburg noch ihrer offiziellen Würdigung harren) hat ja mit den von ihm im Alleingang organisierten Brown-Sugar-Auftritten gezeigt, wie’s geht. Beim Kultursommer kam das Kino im Schlosshof gut an; das lässt sich auch ohne Anlass wiederholen. Und von der Promenade könnte man die Kurz-Konzerte übernehmen: Orgel oder Chor in der Lambertikirche bei freiem Eintritt; maximal eine Stunde und zeitlich so gelegt, dass die Besucher vorher und/oder nachher ausreichend Zeit zum Stadtbummel haben. Straßentheater, Modenschauen, erweiterte Außengastronomie – die Liste ließe sich fortsetzen. Das alles nichts als groß aufgezogene Events mit Massenandrang (ginge bis auf weiteres ohnehin nicht), sondern als Spots über die gesamte Innenstadt verteilt.
Wie in Oldenburg unvermeidlich, kommt in der Debatte natürlich das Thema Parken wieder hoch – jüngst mit dem Vorschlag, die Parkgebühren für eine bestimmte Zeit (z.B. für die Dauer der Freiluftgastronomie) zu streichen. Kann man machen, aber auch das wäre (analog zu den Sondernutzungsgebühren) allenfalls eine flankierende Maßnahme. Und dann gibt’s noch diese Rechnung: 2,6 Millionen Euro hat die Stadt 2020 aus Parkgebühren eingenommen (das war schon wegen Corona eine halbe Million weniger als zuvor). Nimmt man der Einfachheit halber je die Hälfte für City und übriges Stadtgebiet (der City-Anteil dürfte deutlich höher sein) und legt daraus ohne Berücksichtigung der einträglicheren Sommermonate den Schnitt von monatlich 108.000 Euro zu Grunde, käme man auf rund 650.000 Euro Ausfall für eine sechsmonatige Sommersaison. Und da wird man schon fragen dürfen, ob das Geld in dieser Zeit nicht besser in Stadt-Kultur live und Stadtleben angelegt wäre. Niemand fährt in eine tote Stadt, nur weil man dort so günstig parken kann.
Bei alldem ist Schnelligkeit entscheidend. Die Konzeptarbeit muss jetzt geleistet werden nicht erst, wenn Geschäfte und Gastronomie wieder öffnen. Dann könnte es zu spät sein.
1 Kommentar
„Was die Innenstadt zum Überleben braucht ist Leben.“
Welch Erkenntnis. 🙂 Es gab mal „Leben“ inder Innenstadt und ich habe das auch hier immer wieder mal beschrieben. Es gab Straßenkünstler, die den Namen auch verdienten – und Geschäftsinhaber, die genau diese Künstler buchstäblich von einem Standort abwarben damit sie vor seiner Tür für Interesse sorgten.
Dem wurde vom „Rat der Stadt“, mehr Unrat als Rat, ein Riegel vorgeschoben – und was dann blieb waren, pardon, die armen Menschen, die mehr bettelten als Musik oder irendwas anderes machten, die das Ordnungaamt seither herumschubsen kann weil die sich nicht wehren können und auf die paar Cent angwiesen sind. Künstler lassen sich so ein verächtliches Vorgehen natürlich langfristig nicht bieten – warum sollten sie auch.
Es gab das, vom, ich glaube inzwischen ehemaligen Chef des Famila-Center beschriebene, Einkauferlebnis mit Straßencafe-Besuch und „Leben in der Bude“. Was das Ordnungsamt nicht ruinierte – und das war schon sehr viel, fast alles – hat jetzt „Corona“ geschafft. Und, im Ernst jetzt, jetzt will man das „Leben“ zurück? Na, dann gebt euch mal Mühe und habt Respekt mit denen, die das ganz wesentlich mit ausmachten, das Lebendige. Vielleicht kommt dann die Lebens-QUALITÄT ja auch irgendwann zurück – statt dem nervigen Gekrähe und Geklampfe und dem Stress in der Innenstadt.