Kommentar: Mit Löwenblut in die Moderne
Oldenburg (Michael Exner) Zu den Zumutungen der Oldenburger Politik zählt ihre ausgeprägte Angewohnheit, bei Streitigkeiten die Argumentationsketten mythisch zu überhöhen. Da geht‘s nicht ums nüchterne Für und Wider, da dräuen stets des Schicksals Wolken. Oldenburg, das ist immer Schuhgröße 48 – und sei es nur bei einem neuen Stadt-Logo.
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Da hat die Verwaltung im Verborgenen und (schlimmer noch) in Eigenarbeit ein neues Logo entwickelt, das an die Stelle des vor etlichen Jahren im Zuge der Kampagne zur „Stadt der Wissenschaft“ entstandenen Emblems treten soll. Der bunte Farbklecks aus der Zeit von Oberbürgermeister Gerd Schwandner mag vielleicht nicht der größte Geniestreich gewesen sein, er hatte aber einen Hauch von Leichtigkeit und Offenheit, der gut zu einer sich modern gebenden Stadt zu passen schien. Besser als der nun präsentierte Ersatz war er allemal, wobei man einräumen muss, dass die Latte jetzt nicht allzu hoch gelegt wurde. Das neue Logo mit seiner Anspielung auf das Grafenschild im Stadtwappen hat eher das Flair einer Currywurst – mit extra Pommes. Womit sich wieder eine (leicht abgewandelte) Weisheit aus dem Militärischen bewahrheitet, wonach es die fleißigen Dilettanten sind, die man am meisten fürchten muss, weil die den größten Unsinn anrichten. So weit, so schlecht.
„Shit happens“, pflegt der Taoist in solchen Fällen anzumerken und geht zur Tagesordnung über. Nicht so in Oldenburg, da verpasst man keine Gelegenheit fürs große Kino. Oberbürgermeister Jürgen Krogmann war ja noch halbwegs moderat mit seiner Lobpreisung vom Logo als Zeichen eines Zusammengehörigkeitsgefühls und „als Symbol für das Team Stadt Oldenburg“ (wobei er selbst ja nicht unbedingt im Ruf steht, der größte Teamplayer dieser Stadt zu sein). Sein Nachsatz allerdings. „Getreu dem Motto Aus ‚Alt mach Neu‘ wurde das städtische Re-Branding kreiert, das klar, minimalistisch und zeitlos ist“, wirft dann doch die Frage auf, warum es dazu einen stilisierten Grafenschild von Anno Tobak braucht.
Die Gegner lassen sich denn auch nicht lange bitten. Und sie begnügen sich nicht mit der Kritik, das Neue sei altmodisch (wogegen kaum etwas einzuwenden wäre). Nein, da wird in einem offenen Brief einer bunt zusammen gesetzten Gruppe dem Logo als Verkörperung kultureller Identität eine „herausragende Bedeutung“ für „symbolische Repräsentation der Professionalität und Innovationskraft einer Region“ beigemessen. Die Stadt riskiere das Image des Standortes, wenn sie auf einen Teil Oldenburger Geschichte abhebe, der weder für Offenheit, noch für Friedfertigkeit stehe. Vielmehr symbolisiere das neue Erscheinungsbild Abwehr und Rückständigkeit. Und ein anderer Streiter für die Moderne fühlt sich durch die „beiden Blutbalken“ gar an die „Blutgerichtsbarkeit“ erinnert und sieht die Stadt als „mittelalterliche Trutzburg“. (Zur Beruhigung sensibler Gemüter: Die Scheichs vom Golf kaufen aktuell nur Fußballvereine, keine ganzen Städte). Da muss erst ein Experte beschwichtigen, bei den roten Balken handele es sich, wenn überhaupt um Blut, allenfalls um Löwenblut.
Löwen gibt’s hierzulande hauptsächlich im Zirkus. Und so gesehen, ist das neue Logo so unpassend vielleicht doch nicht.
1 Kommentar
Sehr geehrter Herr Exner. Vielen Dank für den geschliffenen Kommentar. Erneut exzellent formuliert und auf den Punkt gebracht. Viele Grüße. Maik Michalski