Politik

Politik mit Kassler, Kohl und Kochwurst

Am Montag wird der amtierende Grünkohlkönig, Ministerpräsident Stephan Weil, die Insignien der Oldenburger Macht an Bundesbildungsministerin Johanna Wanka überreichen.

Am Montag wird der amtierende Grünkohlkönig, Ministerpräsident Stephan Weil, die Insignien der Oldenburger Macht an Bundesbildungsministerin Johanna Wanka weiterreichen.
Foto: Anja Michaeli

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59. Oldenburger Grünkohlessen in Berlin – Bildungsministerin Wanka vor Krönung

Von Michael Exner

Oldenburg / Berlin – Vordergründig geht es um den Verzehr von Kassler, Kohl und Kochwurst, doch wenn die Stadt Oldenburg einmal im Jahr zum Grünkohlessen in die Bundeshauptstadt bittet, ist stets auch Politik im Spiel. Abseits von Korn und launigen Reden werden handfeste Interessen verhandelt, Bündnisse geschlossen oder Posten vergeben.

Bei der 59. Auflage des „Defftig Ollnborger Gröönkohl-Ätens“ am kommenden Montag in der Niedersachsen-Vertretung in Berlin soll Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) zur Kohlkönigin gekrönt und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) als Regent abgelöst werden. Die Personalie kommt auf den ersten Blick überraschend, ist doch die eher spröde Sächsin bislang nicht als Stimmungskanone bekannt. Dennoch folgt die Wanka-Wahl bestimmten Gesetzen politischer Logik.

Es ist der zweite Krönungsentscheid des neuen Oberbürgermeisters Jürgen Krogmann (SPD), der qua Amtes in dieser Frage das Sagen hat. Dass der erste auf Niedersachsens Regierungschef fiel, war nahezu zwingend. Schließlich hatte Weil seinen Genossen durch dreifachen Einsatz vor Ort im Wahlkampf von 2014 massiv unterstützt. Die aktuelle Thronfolge hat ihre eigenen Facetten – und dabei ist der generell nicht unpopuläre Wechsel von Mann zu Frau (der ersten seit Wanka-Vorgängerin Annette Schavan 2009) mehr ein willkommener Mitnahmeeffekt.

Eine Universitätsstadt hat schließlich immer Erwartungen an eine Bundesministerin für Bildung und Forschung, vor allem, wenn sie wie Oldenburg gerade mit Groningen das grenzüberschreitende Projekt einer „European Medical School“ aus Gleis setzt. Und gleich im zweiten Amtsjahr jemanden aus dem Lager der politischen Konkurrenz zu krönen, ist eine weitgehend spesenfreie Demonstration von Überparteilichkeit. Dabei bricht Krogmann sieben Monate vor der niedersächsischen Kommunalwahl eine nie konkret formulierte, aber probate Regel: dass man in Wahljahren lieber jemanden der eigenen Farbe krönt, bestenfalls noch vom Bündnispartner (was den Oldenburgern gelegentlich grüne oder liberale Könige eingetragen hat).

Wenn der selbst erst 2021 zur Wahl stehende Krogmann davon abweicht, zeigt das zum einen, dass er Wanka als parteipolitisch eher ungefährlich einschätzt. Zum anderen ist das ein doppeltes Signal nach innen. Im Oldenburger Rat sitzt die SPD formal in einem Mehrheitsbündnis mit den Grünen, das Krogmann seinerzeit als Ratsherr und Parteivorsitzender selbst mit gestrickt hat. Im OB-Wahlkampf ist er von den Grünen ungewöhnlich hart bekämpft worden, das rot-grüne Ratsbündnis ist inzwischen heillos zerstritten. Die Wanka-Wahl zeigt (frei nach der Dreigroschenoper) den Grünen „Es geht auch anders …“ und der CDU „… aber so geht es auch.“

Der Prominenten-Auftrieb beim Kohlessen ist gemischt. Zwar bringt Hausherr Weil ein Kabinettsquartett mit: Olaf Lies (Wirtschaft), Christian Meyer (Landwirtschaft), Antje Niewisch-Lennartz (Justiz) und Cornelia Rundt (Soziales); Landtagspräsident Bernd Busemann isst mit, auch Bremens Bürgermeister Carsten Sieling. Aber die Präsenz der Bundespolitik ist doch überschaubar: Der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir und die Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann (SPD) und Dietmar Bartsch (Linke) sind noch die bekanntesten Namen.

Das war schon mal anders. Aber vielleicht schwingt da auch mit, dass sich ein früherer Segen der Würde in einen Fluch verwandelt haben könnte. Eine Zeit lang galt, dass man erst Oldenburger Grünkohlkönig werden musste, um danach richtig Karriere zu machen: etwa Gerhard Schröder (König 1992 / Kanzler 1998), Angela Merkel (2001 / 2005) und Christian Wulff (2005 / Bundespräsident 2010). In den vergangenen Jahren aber haben etliche Majestäten nach ihrer Regentschaft Ämter oder Titel oder gar beides verloren: die Ex-Minister Guido Westerwelle (FDP / König von 2003), Annette Schavan (CDU / 2009), Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU / 2010), Philipp Rösler (FDP / 2011) und natürlich Christian Wulff.

Bald-Königin Johanna Wanka ist offenbar nicht abergläubisch.

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