Profitierte das Museumsdorf Cloppenburg von Nazi-Morden?
Oldenburg (zb) „Buchhaltung und Krankenmord“ lautet der Titel einer Forschungsarbeit von Dr. Ingo Harms, Historiker an der Universität Oldenburg, die jetzt vom Gedenkkreis Wehnen und dem Internationalen Fluchtmuseum Oldenburg vorgestellt wurde. Erstmals untersucht ein Autor detailliert, wie ein Krankenmord-Programm dazu diente, Profite zu erwirtschaften. Harms hat ehrenamtlich gearbeitet und betont, „dass seine Schlussfolgerungen einer klaren Indizienkette folgen.“
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Nachdem er bereits darüber geforscht hat, wer und warum während der NS-Zeit in Wehnen starb und mit seinen Ergebnissen Ende der 1990er Jahre in der Öffentlichkeit Entsetzen auslöste, wollte er jetzt untersuchen, wo ein Teil der Gelder, die eigentlich zur Versorgung von Patienten dienten, tatsächlich geblieben sind. Dabei bediente er sich unter anderem der vollständig vorhandenen Akten des Bezirksverbandes, die mittlerweile im Staatsarchiv liegen und eingesehen werden können.
„Den Hungermorden in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen und anderen oldenburgischen Anstalten lag ein Bereicherungsplan zugrunde, der bereits 1933 per Landesgesetz beschlossen und unter anderem vom damaligen Landesfürsorgeverband, dem heutigen Bezirksverband, umgesetzt wurde“, berichtet der Medizinhistoriker. Es handelte sich um das Gesetz zur Vereinfachung und Verbilligung der öffentlichen Verwaltung, das 1933 in Kraft trat. Harms berichtet, dass das Gesetz darauf abzielte, auch die Kultur besser fördern zu können.
So wurden die Pflegesätze von 3,25 Reichsmark (RM), die die Städte und Landkreise pro Patient an Pflegegeld an den Verband zahlten, auf 1,85 RM für Psychiatriepatienten gesenkt. Von den 1,85 RM sparte der Verband zudem weitere 40 Prozent ein. „In der Folge wurden die Nahrungsmittel derart reduziert, dass die Patienten hungerten und schließlich auch verhungerten“, fand der Wissenschaftler bereits heraus. Über 1500 Menschen in Wehnen waren laut Harms Euthanasie-Opfer des Nazi-Regimes, weil Ärzte und Pfleger sie verhungern ließen. „Städte und Landkreise hatten durch das Verbilligungsgesetz mehr Geld zur Verfügung und der Landesfürsorgeverband konnte Vermögen erwirtschaften.“
Der Forscher hat viele Dokumente gesichtet und gelesen, listet Einnahmen und Ausgaben exakt auf und zitiert Carl Ballin, Vorstand des Landesfürsorgeverbandes: „Durch die Senkung der Pflegesätze sind der öffentlichen Fürsorge im Lande Oldenburg bisher schon fast zwei Millionen Reichsmark gespart worden.“ Parallel dazu entdeckt Harms steigende Zuschüsse des Verbandes an das Museumsdorf Cloppenburg in Höhe von 112.500 Reichsmark zwischen 1940 und 1945. Auch der Landkreis Cloppenburg förderte das Museum. Geld, das, so schlussfolgert Harms, bei den Pflegegeldern eingespart wurde.
Zum Kriegsende verfügte der Verband über 7,6 Millionen RM. „Es handelt sich um toxisches also giftiges Vermögen“, sagt er und wirft die Frage auf, inwiefern das Museumsdorf davon profitierte, das bis 1961 in Trägerschaft des Verbandes stand. Harms nennt Namen und kritisiert nicht nur Ärzte sondern auch Politiker und Verbandsvorsitzende, die das System der Hungermorde mitgetragen hätten. Sie seien sozusagen der Aufsichtsrat des Landesfürsorgeverbandes gewesen und hätten die Verbrechen nicht unterbunden.
Weder der Bezirksverband noch die Leitung des Museumsdorfes Cloppenburg folgt den Thesen von Harms. Sie sind ihnen schon länger bekannt, weshalb sie ein eine eigene Untersuchung zusammen mit der Oldenburgischen Landschaft und der Universität Oldenburg in Auftrag gegeben haben. Harms Ansinnen, den Verband und das Museum für seine Arbeit zu gewinnen, scheiterten. Die Ergebnisse der zweiten Untersuchung sollen in 2017 vorgestellt werden.
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