Telemedizin-Zentrale im Finale
Claus Lüers und Rüdiger Franz (von links) im Telemedizin-Zentrum im Klinikum Oldenburg, wo sie mehrere Monitore haben, auf denen die verschiedenen Untersuchungsergebnisse zu sehen sind.
Foto: Katrin Zempel-Bley
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Oldenburg / zb – Zwei Wochen lang waren das Klinikum Oldenburg und die IQ.medworks GmbH auf Stimmenfang für ihr Projekt „Telemedizin-Netzwerk für Menschen ohne direkten Zugang zu ärztlicher Versorgung“ (die OOZ berichtete). Von den 100 ausgewählten Projekten belegte die Telemedizin-Zentrale den dritten Platz. Am 9. September geht die Abstimmung in die Abschlussrunde. Die OOZ-Redaktion hat sich die Oldenburger Telemedizin näher angeschaut.
Schnelle Diagnose per Telemedizin
Der Kardiologe Dr. Klaus Lüers arbeitet im Klinikum Oldenburg. Eines seiner zwei Handys klingelt, weil mitten in der Nordsee ein Mensch in einem Offshore-Windpark gesundheitliche Probleme hat. Der 47-Jährige ist ausgebildeter Notfall- und Telemediziner und Leiter des telemedizinischen Pilotprojektes im Klinikum. Seine Hilfe ist jetzt gefragt.
Schnelle medizinische Versorgung ist für uns auf dem Festland selbstverständlich. Ganz anders sieht es für die Menschen aus, die mitten in der Nordsee mitunter bei schwerem Sturm und Seegang arbeiten. Seit einem Jahr können sie sich auf WindeaCare verlassen, ein von der Industrie finanziertes Pilotprojekt, an dem neben der Windea Offshore das Klinikum Oldenburg, der Regionalverband Weser-Ems der Johanniter, die Luftrettung Northern HeliCopter und die Telemedizin IQmed beteiligt sind. Die interdisziplinäre und unternehmensübergreifende Wissensbasis aus den Bereichen Medizin, Rettungsdienst, Nautik, Luftfahrt und Windenergie ist einzigartig.
Der Kardiologe begibt sich sofort ins Zentrum für Telemedizin, das im Klinikum installiert worden ist. „Weil es unmöglich ist, in Offshore-Parks eine umfassende fachärztliche Versorgung vorzuhalten, arbeiten wir mit audiovisueller Kommunikationstechnologie und können so trotz räumlicher Trennung mit dem Patienten sprechen, eine Diagnose stellen und entsprechend behandeln“, erklärt Lüers. Denn in jedem Offshore-Park befindet sich ein speziell ausgebildeter Rettungsassistent, der bestimmte Untersuchungen vornimmt, deren Ergebnisse ins Klinikum auf verschiedene Monitore übertragen werden.
So kann ohne zeitliche Verzögerung behandelt und alles weitere veranlasst werden. Unverzüglich muss geklärt werden, was dem Patienten fehlt, ob die Situation lebensbedrohlich ist und er an Land geholt werden muss. „Wenn beispielsweise ein dringender Verdacht auf Schlaganfall oder Herzinfarkt besteht, sage ich dem Rettungsassistenten was medizinisch sofort getan werden muss, um den Patienten zu stabilisieren. Parallel dazu wird über die Offshore-Notfall-Leitstelle der Rettungshubschrauber verständigt, um den Patienten einer Spezialklinik zuzuführen“, berichtet Lüers.
Ein nautischer Offizier und der Pilot prüfen, ob die Wetterlage es zulässt, den Patienten abzuholen. Ist das nicht der Fall, prüfen sie, wann ein geeignetes Zeitfenster zum Anflug des Landeplatzes auf der Plattform möglich ist. Hier kommt Dr. Rüdiger Franz ins Spiel. Der ärztliche Leiter von WindeaCare ist Anästhesist und wie Lüers Notfallmediziner. Wenn er Notdienst hat, sitzt er in St. Peter Ording, wo die Hubschrauber stationiert sind und wartet auf seinen Einsatz.
„Der weiteste Einsatz zu einer Plattform dauert 45 Minuten“, sagt Franz. „Während ich also unterwegs bin zum Patienten, behandelt Lüers zusammen mit dem Rettungsassistenten den Patienten. Ich erfahre derweil, was mich auf der Plattform erwartet und kann mich entsprechend vorbereiten. Denn nicht immer kann der Hubschrauber bequem landen. Bei sehr starkem Wind kann es sein, dass ich abgeseilt werde“, nennt er eine mögliche Situation.
Durch Telemedizin lässt sich Hochleistungsmedizin in Echtzeit auf die Plattform weit hinter Helgoland bringen. Ein kleines Telemedizin-Endgerät vor Ort überträgt mit modernster Technik auf allen Kommunikationswegen (Satellit, WLAN, GPRS, GSM, Ethernet) Vitaldaten sowie hochauflösende Audio- und Videosequenzen ins Zentrum für Telemedizin. Ob Blutdruck, Puls, die Sauerstoffsättigung oder das EKG, auf sämtlichen Bildschirmen sind die Daten und Ergebnisse umgehend zu sehen. Im akuten Notfall muss Lüers schnell richtige Entscheidungen zur Lebensrettung treffen, die der Rettungsassistent eigenverantwortlich ausführt.
„Die Behandlung unterscheidet sich nur in einem Punkt von einer Behandlung vor Ort“, sagt der Kardiologe. „Ich kann den Patienten nicht anfassen. Ansehen kann ich ihn jedoch, weil das Gerät mit einer Kamera ausgestattet ist, so dass ich den Patienten oder beispielsweise eine Wunde genau ansehen kann.“ Selbst Ultraschallbilder können übermittelt werden. Wenn zur Diagnose andere Fachärzte notwendig sind, ruft Lüers seine Kollegen an. „Das kommt durchaus vor“, erzählt er. „So hatte jemand beispielsweise eine schwere Allergie, weshalb ich den Dermatologen hinzugezogen habe.“
Ein Patient, der schnell an Land gebracht wird, wird im Hubschrauber von Franz versorgt. „Die Hubschrauber sind auf dem neuesten Stand der Technik und verfügen über eine Ausrüstung, die moderne notfallmedizinische Standards sicherstellt.“ Es sind kleine Krankenstationen ähnlich wie auf den Plattformen, wo die Rettungsassistenten tätig sind. Ist er gelandet, sind die dortigen Mediziner längst über den Fall informiert und vorbereitet, so dass alle weiteren Behandlungen – wie zum Beispiel eine Operation – sofort erfolgen können.
„Tatsächlich verhält es sich auf einer Plattform mitten in der Nordsee ähnlich wie im Leben auf dem Festland. Neben Arbeitsunfällen leiden die Arbeitnehmer unter Erkältung, haben Magen- und Darmprobleme, Unterzuckerung oder Allergie und mitunter kommt auch mal ein Herzinfarkt oder Schlaganfall vor“, berichtet Franz. „In der Regel können wir mit der audio-visuellen Kommunikation zwischen Windpark und Telemedizin-Zentrum die meisten Krankheiten mit Hilfe des Rettungsassistenten vor Ort behandeln“, sagt Lüers.
Mit diesem Telemedizin-Netzwerk ließen sich überall dort Versorgungslücken schließen, wo hochqualifizierte Medizin Mangelware ist oder demnächst sein wird, weil es an Ärzten fehlt. „Die medizinische Versorgung wird in ein paar Jahren in mehreren Regionen Deutschlands optimierungsbedürftig sein. Dies gilt vor allem für den ländlichen Raum, strukturschwache Regionen, die Küstenlinie, Inseln und Halligen. Übrigens könnten auch Kreuzfahrtschiffe von Telemedizin profitieren“, macht Franz deutlich. Um auch dort einen höchst möglichen medizinischen Standard vorzuhalten, wäre Telemedizin, wie wir sie betreiben, ideal“, ist er überzeugt.
„Auch viele Landärzte könnten durch dieses System unterstützt werden“, fügt Lüers hinzu. Manch ein Patient könnte sich vermutlich eine längere Fahrt zum Facharzt oder in ein noch weiter entferntes Krankenhaus sparen, sagen die beiden Mediziner, die alles, was mit dem Patienten geschieht dokumentieren.
Ohne Telemedizin auf höchstem Niveau hätten die Unternehmen Probleme, sehr gut qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen. Wer in Ost- und Nordsee bei Wind und Wetter täglich vollen Einsatz zeigt, der muss sicher sein, dass im Fall einer Krankheit alles für ihn getan wird und Mediziner wie Lüers und Franz schnell die richtigen Entscheidungen fällen und sich bei Bedarf sofort auf den Weg aufs Meer machen, um im extremsten Fall Leben zu retten. (zb)
Finalrunde
Für die zehn Finalteilnehmer geht es am 9. September weiter. Dabei ist die Telemedizin-Zentrale das letzte im Rennen verbliebene Projekt aus Niedersachsen. In der Finalrunde wählt die Öffentlichkeit bis zum 15. September aus den zehn Finalisten den Publikumssieger 2015, wobei alle wieder bei Null beginnen. Die Ehrung des Gewinners erfolgt dann am 10. November im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung in Berlin.
Mehr Informationen unter www.land-der-ideen.de.
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